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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
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Um auswärtige Politik kümmerte er sich nur in seltenen Fällen, wenn wichtigeFragen Vorlagen; dann war natürlich die letzte Entscheidung bei ihm. ln denkritischen Tagen des Juli kam Mrs. Asquith wiederholt zu uns, um zu warnen undwar schliesslich ganz verzweifelt über die tragische Wendung. Auch Herr Asquithwar am 2. August, als ich ihn besuchte, um einen letzten Versuch im Sinne einerabwartenden Neutralität zu machen, ganz gebrochen, wenn auch vollkommen ruhig.Die Tränen liefen ihm über die beiden Wangen hinunter.

Unterstaatssekretär Nfcolson. Starker Einfluss. Deutschfeindlich.

Im Foreign Office (Auswärtigen Amt) hatten neben dem Minister Sir A. Nicolson und Sir W. Tyrell den stärksten Einfluss.

Ersterer war nicht unser Freund, aber seine Haltung gegen mich war immerdurchaus korrekt und zuvorkommend. Unsere persönlichen Beziehungen waren diebesten. Auch er wollte den Krieg nicht, als wir aber gegen Frankreich zogen,hatte er zweifellos im Sinne des sofortigen Anschlusses gearbeitet. Er war derVertrauensmann meines französischen Kollegen, mit dem er in dauernder Fühlungstand; auch wollte er Lord Bertie in Paris ablösen.

Bekanntlich war Sir Arthur vorher Botschafter in Petersburg und hatte denVertrag von 1907 abgeschlossen, der es Russland ermöglichte, sich dem Westen unddem nahen Orient wieder zuzuwenden.

Tyrell: zuerst deutschfeindlich, dann Freund der Verständigung und mussdaher das Foreign Office verlassen.

Viel grösseren Einfluss als der permanente Unterstaatssekretär besass derKabinettschef oderprivate sekretary Sir Edwards: Sir W. Tyrell. Dieser hoch-intelligente Mann hat in Deutschland das Gymnasium besucht und sich nachherder Diplomatie zugewandt, war aber nur kurze Zeit im Ausland gewesen. Zunächstschloss er sich der damals unter den jüngeren britischen Diplomaten modernenantideutschen Richtung an, um später ein überzeugter Befürworter der Verständigungzu werden. In diesem Sinne hat er auch Sir Ed. Grey beeinflusst, mit dem er sehrintim war. Seit Ausbruch des Krieges hat er das Amt verlassen und im HomeOffice (Ministerium des Innern) Anstellung gefunden, wohl infolge der gegen ihnwegen seiner germanophilen Richtung erhobenen Kritik.

Das auswärtige Amt in Berlin tobt. Die Herrschaften sind neidisch.

Die Wut gewisser Herren über meine Londoner-Erfolge und über die Stellung,die ich mir in kurzer Zeit machen konnte, war unbeschreiblich. Schikanöse Erlassewurden ersonnen, um mein Amt zu erschweren; ich blieb in völliger Unkenntnisder wichtigsten Dinge und wurde auf die Mitteilung belangloser langweiliger Berichtebeschränkt.

Ein englisch -französisches Geheimabkommen.

Geheime Agentennachrichten über Dinge, die ich ohne Spionage und die nötigenFonds nicht erfahren konnte, waren mir niemals zugänglich, und erst in den letztenTagen des Juli 1914 erfuhr ich zufällig durch den Marine Attache die geheimenenglisch -französischen Abmachungen über das Zusammenwirken beider Flotten imFalle eines Krieges. Auch andere wichtige dem Amt längst bekannte Vorgängewie der Briefwechsel Grey-Cambon wurden mir vorenthalten.