Das rheinische Recht. Gagerns Rede.
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gesprochen hatte, der neu erworbenen Provinz Rheiuhesscn dasRecht des „Mutterlandes" zu geben und es als eine Schonungbezeichnete, daß dies uicht schou 1815 geschehen sei. Grundlos seies ferner, das rheinische Recht im Namen des deutschen Patriotis-mus zu bekämpfen. Trotz der in den Tagen des Befreiungskriegesherrschenden patriotischen Abneigung gegen alles, was an die Fremd-herrschaft erinnerte, habe man sich doch damals nicht der Über-zeugung verschlossen, daß in diesen Einrichtungen ein Fortschrittliege. Übrigens sei das römische Recht, auf dem die alte Ordnungruhe, doch gewiß uicht national deutsch , dagegen sei das Geschworenen-gericht des rheinischen Rechts ursprünglich germanisch. Besondersergreifend wirkteu seiue Worte über die mangelnde Unabhängigkeit desRichterstandes und über den Einfluß der Schwurgerichte auf die Er-ziehung der Bürger zur Teilnahme am staatlichen Leben. Es klangseine Rede wie ein Nachhall aus deu Tagen der Steinschen Reform.
Das Bild der Themis, versteinert, auf hohem Throne, die Wage unddas Schwert in den Händen, mit verbundenen Augen sitzend, unzugänglichvon den Seiten, allein mit den Rechtsuchenden beschäftigt — dies ist eineAllegorie, welcher die Wirklichkeit uicht entspricht. Das Richterpersonal istabhängig von dem Einfluß der höheren Staatsgewalt und nur zu häufiggeneigt, dem vermeintlichen Bedürfnisse dieser Staatsgewalt entgegenzu-kommen. Die Rechtssicherheit bedarf des Schutzes gegen solche Einflüsse unddas Geschworenengericht ist eins der Institute, welche aus dem Bestrebenhervorgegangen sind, gegen den Mißbrauch der Gewalt zu schützen. Eswürde wie Ironie lauteu, wenn ich von der Möglichkeit solchen Mißbrauchsder Staatsgewalt an diesem Orte reden wollte. . . . Wir wollen in dem Ge-schworenengericht das Volk zur Teilnahme an den erhabensten Akten derGerechtigkeit berufen, es selbst zu Wächten: über Lebe», Ehre und Freiheitdes Bürgers, aber auch zur Garantie der Rechtssicherheit erheben, das Ge-fühl eigenen Werts dadurch erhöhen und Interessen schaffen, die mit stärkerenBanden an daS Gemeinwesen nnd seine Wohlfahrt knüpfen. . . . Wir ver-langen Öffentlichkeit und Mündlichkcit deS Verfahrens in der größten Aus-dehnung, damit das Volk mit den Gesetzen vertraut werde, von der Recht-mäßigkeit des Verfahrens sich überzeugen und die Gerechtigkeit der Gerichteachten lerne. . . . Beobachten Sie unbefangen, ob nicht jenseits des Rheinsder gemeinste Mann mit einem kräftigeren Bewußtsein seiner menschlichenund bürgerlichen Würde auftritt, als dies diesseits der Fall ist, und wennich für Einrichtungen spreche, welchen zunächst solche Erscheinungen im Volks-leben zuzuschreiben sind, so glaube ich Institutionen das Wort zu reden,welche unserem Nationalcharakter entsprechen, denn keine Nation ist in ihreminnersten Wesen der Freiheit mehr hold und für die Freiheit mehr ge-schaffen als die deutsche .