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Anrüchiges und Allzumenschliches : Einblicke in das Kapital Pfui / Paul Englisch
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Notdurft unter einem ganz anderen Gesichtswinkel be-trachten, erscheinen die erwähnten Tatsachen ganz unge-heuerlich, und wir finden es eher begreiflich, daß solcheUngeniertheit Platz greifen darf, wenn amoureuse Be-ziehungen bestehen, wie es bei Stendhal der Fall war.Dieser hatte ein Verhältnis mit der Gräfin Curia! Ein-mal wäre er von dem eifersüchtigen Gatten beinaheüberrascht worden, aber die Geliebte verbarg ihn dreiTage im Keller und kam täglich, um ihm Essen zu brin-gen und den Nachtstuhl zu leeren 71 .So ungeniert man auch sonst am französischen Hofewar, so streng hielt man sonst auf die Einhaltung derEtikette. In dem anonym erschienenen MemoirenwerkDenkwürdigkeilen aus dem Leben der Königin Marie-Antoinette, Königin von Frankreich 72 , findet sich fol-gende bezeichnende Anekdote:

Die strenge Etikette erstreckte sich auch auf denNachttopf. Als Marie-Antoinette zum ersten Male amfranzösischen Hofe übernachtete, fühlte sie Verlangennach Befriedigung eines kleinen Bedürfnisses. Sie beugtesich unter das Bett und zog das Geschirr herbei und be-sorgte ihre Sache. Die Kammerfrau bemerkte dies undwar außer sich vor Verwunderung. Und die Oberzeremo-nienmeisterin gar konnte sich nicht enthalten, der Prin-zessin den Vorwurf zu machen, daß sie die französischeEtikette in gröblichster und leichtfertigster Weise ver-letzt hätte: Die Gemahlin des Thronfolgers darf eherdas Bett vollmachen als sich den Nachttopf halten."Der Königin war übrigens bei ihrer Krönung ein Klosettd l'angloise eingerichtet worden, also mit einer ArtWas-

71 Ausgewählte. Briefe Slendhals, deutsch von Arthur Schurig. Mün-chen und Leipzig 1910, S. LX.7 * Leipzig 1837, Bd. III, S. 122.

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