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Meister des Plagiats oder die Kunst der Abschriftstellerei / Paul Englisch
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3. Das überscharfe Erinnerungsvermögen.

Bei der Fülle der vorhandenen Literatur und der täglichen Neuerscheinungen, die der literarisch Interessierte freiwillig liest oder zu lesen gezwungen ist, wird es nach Tagen kaum noch möglich sein, die aufgenommenen Gedanken fein säuber­lich zu registrieren und deren Väter festzustellen, um wieviel weniger nach Monaten und Jahren, wenn der produzierende Schriftsteller, angeregt durch irgendein Ereignis oder vom inneren Schaffensdrang getrieben, zur Abfassung eines Werkes sich anschickt. Es wird ihm nicht glücken, auch nicht beim besten Willen, jeden ihm zuströmenden Gedanken daraufhin zu prüfen, ob erauf eigenem Mist gewachsen" oder fremder Her­kunft ist. Was in seinem Gehirn auftaucht, schätzt er als eigenen Gedanken, für den er eintritt. Daß ihm hier bei allzu gutem Gedächtnis dieses mitunter einen üblen Streich spielen kann, liegt auf der Hand. Wir haben Beispiele mehr als genug, die den Nachweis liefern, daß der gleiche Gedanke, die gleiche Fabel eines Stoffs von mehreren Schriftstellern entweder zur selben Zeit oder kurz nacheinander wiederkehrt. Diese Duplizität der literarischen Ereignisse erklärt sich mühelos aus dieser Täu­schung durch das Erinnerungsvermögen, ohne daß man sofort mit Plagiatsbeschuldigungen bei der Hand zu sein braucht. Es kommt nicht auf die Tatsache der Übereinstimmung an, sondern auf den Willen, daß es so ist.

Nachdem wir nunmehr die Fälle ausgeschieden haben, die als Plagiat nicht zu werten sind, ist der Weg geebnet zu einer Definition des Plagiats.

Plagiat ist also die aus freier Entschließung eines Autors oder Künstlers betätigte Ent­nahme eines nicht unbeträchtlichen Ge­danke n i n h a 11 s eines anderen für sein Werk,

6 Meiitvr de* Plagiat!

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