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dass wir beabsichtigten, Europa in Atem zu erhalten und die Franzosen gelegentlichzu demütigen. Ein österreichischer Kollege, der lange in Paris war, sagte mir:„Wenn die Franzosen anfingen, die Revanche zu vergessen, dann habt Ihr sieregelmässig durch kräftige Tritte daran erinnert.“
Nachdem wir die Versuche des Herrn Delcasse, sich mit uns über Marokko zu verständigen, zurückgewiesen und vorher feierlich erklärt hatten, keine politischenInteressen dort zu besitzen — eine Haltung, die wohl den Ueberlieferungen derBismarckschen Politik entsprach, — entdeckten wir plötzlich in Abdul Asis einenzweiten Krüger. Auch ihm verhiessen wir, wie den Buren, den Schutz des mächtigendeutschen Reiches mit demsejben Aufwande und dem gleichen Erfolge. Denn beideKundgebungen endeten, wie sie enden mussten: mit dem Rückzug, falls wir nichtentschlossen waren, schon damals den Weltkrieg zu führen. Daran vermochte auchder traurige Kongress in Algeciras nichts zu ändern, noch weniger der Sturz desHerrn Delcasse.
Unsere Haltung förderte die russisch-japanische und später die russisch -britischeAnnäherung. Gegenüber der deutschen Gefahr — „the German peril“ — traten alleandern Gegensätze in den Hintergrund. Die Möglichkeit eines neuen deutsch-französischen Krieges war augenfällig geworden, und ein solcher konnte, anderswie anno 70, weder Russland noch England unberührt lassen.
Die Wertlosigkeit des Dreibundes hatte sich bereits in Algeciras gezeigt, dieder dortigen Vereinbarungen aber bald danach durch den Zusammenbruch desSultanats, der natürlich nicht zu verhindern war. Im deutschen Volke jedoch ver-breitete sich der Glaube, dass unsere Auslandspolitik schwächlich sei und vor der„Einkreisung“ zurückweiche und dass hochtönenden Gebärden kleinmütige Nach-giebigkeit folge.
Es bleibt das Verdienst des Herrn von Kiderlen, der als Staatsmann sonstüberschätzt wird, dass er die marokkanische Erbschaft liquidierte und sich mit denTatsachen abfand, an denen nichts mehr zu ändern war. Ob freilich die Weltdurch den Coup von Agadir erschreckt werden musste, lasse ich dahingestellt. InDeutschland wurde das Ereignis lebhaft begrüsst, in England aber hatte es umsomehrbeunruhigt, als die Regierung durch drei Wochen vergeblich auf Aufklärung Uberunsere Absichten wartete. Die Rede Mr. Lloyd Georges, die uns warnen sollte,war die Folge. Vor dem Sturze Delcasses und vor Algeciras wären Hafen undGebiet an der Westküste zu haben gewesen, nachher aber nicht mehr.
Das deutsch-französische Marokkoabkommen beruhigt in England .
Als ich nach London kam im November 1912, hatte man sich über Marokko beruhigt, da inzwischen in Berlin eine Vereinbarung mit Frankreich erfolgt war.Die Mission Haldanes war zwar gescheitert, da wir die Zusage der Neutralitätverlangten, statt uns mit einem Vertrage zu begnügen, der uns vor britischenAngriffen und vor Angriffen mit britischer Unterstützung sichern sollte.
Sir Ed. Grey aber hatte den Gedanken, mit uns zu einer Verständigung zugelangen, nicht aufgegeben und versuchte es zunächst auf kolonialen und wirt-schaftlichen Gebieten. Durch Vermittelung des befähigten und geschäftskundigenBotschafters von Kühlmann waren Besprechungen über eine Erneuerung desportugiesischen Kolonialvertrages und über Mesopotamien (Bagdadbahn ) im Gange,die das unausgesprochene Ziel verfolgten, sowohl die genannten Kolonien, wieKleinasien in Interessensphären zu teilen.