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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
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Sir Edward Greys deutsch -englische Kolonialpläne.

Der britische Staatsmann wollte, nachdem sowohl mit Frankreich wie mitRussland die alten Streitfragen geregelt waren, auch mit uns zu ähnlichen Ab-machungen gelangen. Nicht uns zu vereinsamen, sondern uns möglichst zu Teil-nehmern an der bestehenden Genossenschaft zu machen, war seine Absicht. Wiees gelang, britisch-französische und britisch-russische Gegensätze zu überbrücken,so wollte er auch die britisch-deutschen möglichst beseitigen und durch ein Netzvon Verträgen, zu denen schliesslich wohl auch eine Vereinbarung über die leidigeFlottenfrage gehört hätte, den Weltfrieden sichern, nachdem unsere frühere Politikzu einer Genossenschaft, der Entente, geführt hatte, die eine gegenseitige Ver-sicherung gegen Kriegsgefahr darstellte.

Das war das Programm Sir Ed. Greys. ln seinen eigenen Worten : unbeschadetder bestehenden Freundschaften (zu Frankreich und Russland ), die keinerlei agressiveZwecke verfolgen und keinerlei bindende Verpflichtungen für England in sichschliessen, mit Deutschland zu einer freundschaftlichen Annäherung und Verständigungzu gelangen.To bring the two groupes nearer (die beiden Gruppen einandernäher bringen).

Zwei Strömungen in England : Verständigungspolitiker und Kriegspartei.

Es gab damals in England wie bei uns in dieser Hinsicht zwei Richtungen:die der Optimisten, die an die Verständigung glaubten, und die der Pessimisten,die den Krieg früher oder später für unvermeidlich hielten.

Zur ersteren gehörten die Herren Asquith, Grey, Lord Haldane und die meistenMinister des radikalen Kabinetts sowie die führenden liberalen Organe, wieWest-minster Gazette,Manchester Guardian ,Daily Chronicle. Zu den Pessimistennamentlich konservative Politiker, wie Mr. Balfour, der mir dies wiederholt zuverstehen gab, dann führende Militärs wie Lord Roberts , die auf die Notwendigkeitder allgemeinen Wehrpflicht hinwiesen. (The Writing on the Wall.) Ferner dieNorthcliffepresse und der bedeutende englische Journalist Mr. Garvin (Observer).Während meiner Amtszeit haben sie sich jedoch aller Angriffe enthalten und per-sönlich wie politisch eine freundliche Haltung eingenommen. Unsere Flottenpolitikund unsere Haltung in den Jahren 1905, 1908 und 1911 hatten bei ihnen aber denGlauben erweckt, dass es doch einmal zum Kriege kommen werde. Erstere werdenheute in England gerade so, wie es auch bei uns geschieht, der Kurzsichtigkeitund Einfalt geziehen, letztere gelten als die wahren Propheten.

Der erste Balkankrieg ist eine deutsche Niederlage. Lichnowsky gegen denDreibund. Durch Unterstützung Italiens verhindert Deutschland einen italienisch-französischen Konflikt.

Der erste Balkankrieg hatte damals zum Zusammenbruch der Türkei und damitzu einer Niederlage unserer Politik geführt, die sich mit den Türken seit Jahrendentifizierte. Nachdem die Türkei in Europa nicht mehr zu retten war, gab eszwei Möglichkeiten gegenüber der Regelutfg ihrer Hinterlassenschaft: entweder wirerklärten unser völliges Desinteressement an der Gestaltung der Grenzen auf demBalkan und überliessen die Regelung den Balkanvölkern, oder aber wir unterstütztenunsereBundesgenossen, trieben Dreibundpolitik im Orient und traten dadurchaus der Rolle des Vermittlers heraus.