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Ich befürwortete von Anfang an die erstere Lösung, das Auswärtige Amt abervertrat umso entschiedener die letztere.
Der springende Punkt war die albanische Frage. Unsere Bundesgenossenwünschten die Gründung eines selbstständigen Staates Albanien , da Oesterreichdie Serben nicht an die Adria und Italien die Griechen nicht nach Valona , ja, nichteinmal nördlich von Korfu gelangen lassen wollte. Im Gegensatz hierzu fördertebekanntlich Russland die serbischen und Frankreich die griechischen Wünsche.
Mein Rat ging nun dahin, diese Frage als ausserhalb des Bündnisses stehendzu betrachten und weder die österreichischen noch die italienischen Wünsche zuunterstützen. Ohne diese Förderung aber wäre die Errichtung Albaniens , dessenLebensunfähigkeit vorauszusehen war, unmöglich gewesen. Serbien wäre an dasMeer gelangt und der jetzige Weltkrieg vermieden. Frankreich und Italien hättensich über Griechenland ernstlich entzweit und die Italiener, falls sie nicht alleingegen Frankreich kämpfen wollten, sich mit der Ausdehnung Griechenlands bisnördlich von Durazzo abfinden müssen. Die Zivilisation in dem grössten Teil vonAlbanien ist griechisch. Die Städte sind es im Süden vollkommen, und währendder Botschafterkonferenz kamen Abordnungen aus grösseren Städten nach London ,um die Angliederung an Griechenland durchzusetzen. Auch im heutigen Griechen-land leben albanische Volksteile und die sogenannte griechische Nationaltrachtsogar ist albanischen Ursprungs. Die Einverleibung der überwiegend orthodoxenund islamitischen Albaner in den griechischen Staat war daher die beste Lösung,die natürlichste, wenn man etwa Skutari und den Norden den Serben und denMontenegrienern überliesse. Für diese Lösung war auch S. M. aus dynastischenGründen. Als ich den Monarchen brieflich in dieser Richtung bestärkte, erhieltich vom Reichskanzler erregte Vorwürfe,, ich gälte als „Gegner Oesterreichs “ under müsste sich solche Eingriffe und die direkte Korrespondenz verbieten.
Lichnowsky wünscht ein deutsch -russisches Zusammengehen auf Kosten derTürkei und Förderung der Balkanstaaten gegen Russland .
Wir mussten uns von der verhängnisvollen Ueberlieferung endlich lossagen,Dreibundpolitik auch im Orient zu treiben und den Irrtum erkennen, der darin lag,uns im Süden mit den Türken und im Norden mit den Austro-Madjaren zu identi-fizieren. Denn die Fortsetzung dieser Politik, die wir beim Berliner Kongressbegonnen und seither mit Eifer gepflegt hatten, musste mit der Zeit und namentlich,wenn die nötige Gewandtheit an leitender Stelle fehlte, zum Zusammenstoss mitRussland und zum Weltkriege führen. Statt uns mit Russland auf Grundlage derUnabhängigkeit des Sultans, den man auch in Petrograd nicht aus Konstantinopelentfernen wollte, zu einigen und uns, unter Verzicht auf militärische und politischeEingriffe, auf wirtschaftliche Interessen im Orient zu beschränken und mit derZerlegung Kleinasiens in Interessensphären zu begnügen, ging unser politischerEhrgeiz dahin, am Bosporus zu dominieren. In Russland entstand die Meinung,der Weg nach Konstantinopel bezw. ins Mittelländische Meer führe über Berlin .Statt die kräftige Entwicklung der Balkanstaaten zu fördern, die, einmal befreit,alles eher sind als russisch, und mit denen wir die besten Erfahrungen machten,stellten wir uns auf die Seite der türkischen und madjarischen Unterdrücker.
Der verhängnisvolle Irrtum unserer Dreibund- und Orientpolitik, die Russland ,unsern naturgemässen besten Freund und Nachbar, in die Arme Frankreichs und