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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
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Englands gedrängt und von der asiatischen Ausbreitungspolitik abgedrängt hatte,war umso augenfälliger, als ein russisch -französischer Ueberfall, die einzige Hypothese,die eine Dreibundpolitik rechtfertigte, aus unserer Berechnung ausscheiden konnte.

Der Dreibund ist zwecklos, da Italien abfällt und man Oesterreich zu einem

Vasallen machen sollte.

Lieber den Wert des italienischen Bündnisses erübrigt sich ein weiteres Wort.Italien braucht unser Geld und unsere Touristen auch nach dem Kriege mit oderohne Bündnis. Dass letzteres im Kriegsfälle versagen würde, war vorauszusehen.Das Bündnis war daher wertlos. Oesterreich braucht unseren Schutz in Krieg undFrieden und hat keine andere Anlehnung. Die Abhängigkeit von uns beruht aufpolitischen, nationalen und wirtschaftlichen Erwägungen und ist umso grösser, jeintimer unsere Beziehungen zu Russland sind. Das hat die bosnische Krise gelehrt.Seit dem Grafen Beust ist noch kein Wiener Minister so selbstbewusst gegen unsaufgetreten, wie Graf Aehrenthal in den letzten Jahren seines Lebens. Bei richtiggeleiteter deutscher Politik, die die Fühlung mit Russland pflegt, ist Oesterreich-Ungarn unser Vasall und auf uns angewiesen, auch ohne Bündnisse und Gegen-leistungen, bei falsch geleiteter sind wir auf Oesterreich angewiesen. Das Bündniswar daher zwecklos.

Ich kannte Oesterreich zu genau, um nicht zu wissen, dass eine Rückkehr zurPolitik des Fürsten Felix Schwanenberg oder des Grafen Moritz Esterhazy dortundenkbar war. So wenig die dortigen Slawen uns lieben, so wenig wollen sie inein deutsches Kaiserreich zurückkehren, selbst mit Habsburg-Lothringer Spitze. Siestreben den Föderalismus innerhalb Oesterreichs an auf nationaler Grundlage, einZustand, der im Rahmen des deutschen Reiches noch viel weniger Aussicht aufVerwirklichung hätte, wie unter dem Doppeladler. Die Deutschen Oesterreichs abererkennen in Berlin den Mittelpunkt deutscher Macht und Kultur und wissen, dassOesterreich niemals wieder Präsidialmacht werden kann. Sie wünschen einen mög-lichst intimen Anschluss an das Reich, nicht aber eine antideutsche Politik.

Seit den siebziger Jahren hatte sich die Lage' von Grund aus verändert inOesterreich wie etwa in Bayern . Wie hier eine Rückkehr zum grossdeutschenPartikularismus und zur altbayerischen Politik nicht zu befürchten ist, so war dortein Wiederaufleben der Politik des Fürsten Kaunitz und Schwarzenberg nicht zugewärtigen. Unsere Interessen aber würden durch einen staatsrechtlichen AnschlussOesterreichs, das auch ohne Galizien und Dalmatien nur etwa zur Hälfte von Ger-manen bewohnt ist, also etwa ein grosses Belgien darstellt, ebenso leiden wieandererseits durch Unterordnung unserer Politik unter Wiener und Pester Gesichts-punkte, döpouser les querelies de lAutriche (sich mit den österreichischenZwistigkeiten vermählen).

Man müsste den Balkan gegen Oesterreich unterstützen.

Wir brauchten daher keine Rücksichten auf die Wünsche unsererBundes-genossen zu nehmen, sie waren nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich, weilsie zum Zusammenstoss mit Russland führten, wenn wir orientalische Fragen durchösterreichische Brillen betrachteten. Die Ausgestaltung des Bündnisses aus einemunter einer einzigen Voraussetzung geschlossenenZweckverbande zu einerGe-samtgemeinde, zu einer Interessengemeinschaft auf allen Gebieten, war geeignet,