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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
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Auch Herr Take Jonescu war öfters in London und besuchte mich dann regel-mässig. Ich kannte ihn von der Zeit her, da ich Sekretär in Bukarest war. Ergehörte auch zu den Freunden des Herrn von Kiderlen. In London war er bestrebt,durch Verhandlungen mit Herrn Danew Zugeständnisse für Rumänien zu erreichenund wurde dabei von dem sehr befähigten rumänischen Gesandten Nisu unterstützt.Dass diese Verhandlungen an dem Widerstande Bulgariens scheiterten, ist bekannt.Graf Berchtold (und wir natürlich mit ihm) war ganz auf seiten Bulgariens , sonstwäre es wohl gelungen, den Rumänen die gewünschte Genugtuung durcheinen Druck auf Herrn Danew zu verschaffen und uns Rumänien zu verpflichten,das durch die Haltung Oesterreichs während des zweiten Balkankrieges und danachden Mittelmächten endgültig entfremdet wurde.

Der Sieg Serbiens ist eine Blamage für Oesterreich. Für Sasanow ist einösterreichischer Angriff auf Serbien ein casus belli.

Die Niederlage Bulgariens im zweiten Balkankriege und der Sieg Serbiens sowie der rumänische Einmarsch bedeuteten naturgemäss für Oesterreich eineBlamage. Der Gedanke, diese durch einen Waffengang gegen Serbien auszugleichen,scheint bald in Wien Eingang gefunden zu haben. Die italienischen Enthüllungenbeweisen es, und es ist anzunehmen, dass Marquis San Giuliano, der den Plan alseinepericolosissima aventura (äusserst gefährliches Abenteuer) sehr treffendkennzeichnete, uns davor bewahrt hat, schon im Sommer 1913 in einen Weltkriegverwickelt zu werden.

Bei der Vertrautheit der russisch-italienischen Beziehungen wird die Wiener Anregung auch wohl in Petersburg bekannt geworden sein. Jedenfalls hat HerrSasanow in Konstanza , wie Herr Take Jonescu mir erzählte, offen gesagt, dassein Angriff Oesterreichs auf Serbien für Russland den Kriegsfall bedeutet.

Als einer meiner Herren im Frühjahr 1914 von Urlaub aus Wien zurückkehrte,erzählte er, Herr von Tschirschky erklärte, es gäbe bald Krieg. Da ich aber überwichtige Vorgänge stets in Unkenntnis gelassen wurde, hielt ich diesen Pessimis-mus für unbegründet.

Seit dem Bukarester Frieden scheint tatsächlich in Wien die Absicht bestandenzu haben, eine Revision dieses Vertrages auf eigene Faust durchzuführen, und manwartete anscheinend nur auf einen günstigen Anlass. Auf unsere Unterstützungkonnten die Wiener Staatsmänner selbstverständlich rechnen. Das wussten sie,denn es war ihnen schon wiederholtSchlappheit vorgeworfen worden. Mandrängte in Berlin sogar auf eineRehabilitierung Oesterreichs .

Russische Erregung über die Mission Liman von Sanders . Der grosse EinflussGreys auf die russische Politik.

Als ich im Dezember 1913 nach längerem Urlaub nach London zurückkehrte,hatte die Frage Liman von Sanders zu einer neuen Verschärfung unserer Bezie-hungen zu Russland geführt. Sir Ed. Grey machte mich nicht ohne Besorgnis aufdie Erregung aufmerksam, die darüber in Petersburg herrsche!I have never seenthem so excited (ich habe sie niemals so aufgeregt gesehen).

Ich wurde von Berlin aus beauftragt, den Minister zu bitten, in mässigendemSinne in Petersburg zu wirken und uns bei Beilegung des Streites behilflich zuein. Sir Edward war hierzu gern bereit, und seine Vermittelung hat nicht wenigdazu beigetragen, die Angelegenheit zu ebnen. Meine guten Beziehungen zu Sir