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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
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Sir Edward wies mit Recht darauf hin, dass man auch ohne Qebietserwerbungein Land zum Vasallen erniedrigen kann, und dass Russland hierin eine Demüti-gung erblicken und es daher nicht dulden werde.

Der Eindruck befestigte sich immer mehr, dass wir den Krieg unter allen Um-ständen wollten. Anders war unsere Haltung in einer Frage, die uns doch direktnichts anging, nicht zu verstehen. Die inständigen Bitten und bestimmten Erklä-rungen des Herrn Sasanow, später die geradezu demütigen Telegramme des Zaren,die wiederholten Vorschläge Sir Edwards, die Warnungen des Marquis San Giulianound des Herrn Bollati, meine dringenden Ratschläge, alles nützte nichts, in Berlin blieb man dabei, Serbien muss massakriert werden!

Je mehr ich drängte, um so weniger wollte man einlenken, schon weil ichnicht den Erfolg haben sollte, mit Sir Edward Grey den Frieden zu retten!

Im Falle des Krieges marschiert England mit Frankreich .

Da entschloss sich letzterer am 29. zu der bekannten Warnung. Ich entgegnete,dass ich stets berichtet hätte, wir würden mit der englischen Gegnerschaft rechnenmüssen, falls es zum Kriege mit Frankreich käme. Wiederholt sagte mir der Mi-nister:If war breaks out, it will be the greatest catastrophe the world has ever seen(wenn ein Krieg ausbricht, gibt es die grösste Katastrophe, die die Welt je erlebt hat.)

Das Ultimatum an Russland .

Die Ereignisse überstürzten sich bald darauf. Als endlich Graf Berchtold, derbis dahin auf Berliner Weisungen den starken Mann spielte, sich zum Einlenkenentschloss, beantworteten wir die russische Mobilmachung, nachdem Russland eineganze Woche vergeblich unterhandelt und gewartet hatte, mit dem Ultimatum undder Kriegserklärung.

Ein Missverständnis und ein Telephongespräch.

Noch immer sann Sir Ed. Grey nach neuen Auswegen. Am 1. August vormit-tags kam Sir W. Tyrell zu mir, um zu sagen, sein Chef hoffe noch immer, einenAusweg zu finden. Ob wir neutral bleiben wollten, falls Frankreich es auch täte?Ich verstand, dass wir dann bereit sein sollten, Frankreich zu schonen, er hatteaber gemeint, dass wir überhaupt, also auch gegen Russland , neutral bleiben. Daswar das bekannte Missverständnis. Sir Edward hatte mich für den Nachmittag be-stellt. Da er sich gerade in einer Kabinettsitzung befand, rief er mich an dasTelephon, nachdem Sir W. Tyrell gleich zu ihm geeilt war. Nachmittags sprach ernur mehr von der belgischen Neutralität und von der Möglichkeit, dass wir undFrankreich uns bewaffnet gegenüber ständen, ohne uns anzugreifen.

Es war also überhaupt kein Vorschlag, sondern eine Frage ohne Verbindlichkeit,da, wie ich schon früher gemeldet, bald darauf unsere Besprechung stattfindensollte. Die Nachricht wurde aber in Berlin , ohne erst die Unterredung abzuwarten,zur Grundlage einer weitgehenden Aktion gemacht. Dann kam der Brief des HerrnPoincare, der Brief Bonar Laws, das Telegramm des Königs Albert. Die Schwan-kenden wurden im Kabinett bis auf drei Mitglieder, die austraten, umgestimmt.

Abschied von England .

Ich hatte bis zum letzten Augenblick auf eine abwartende Haltung Englands gehofft. Auch mein französischer Kollege fühlte sich keineswegs sicher, wie ichaus privater Quelle erfuhr. Noch am 1. August hatte der König dem Präsidenten

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