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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
Entstehung
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Ausweichend geantwortet. In dem Telegramm aus Berlin , das die drohende Kriegs-gefahr ankündigte, war aber England schon als Gegner mitgenannt. Man rechnetealso in Berlin mit dem Kriege gegen England .

Vor meiner Abreise empfing mich am 5. Sir Ed. Grey in seiner Wohnung. Aufseinen Wunsch war ich hingegangen. Er war tief bewegt. Er sagte mir, er werdestets bereit sein, zu vermitteln:We dont want to crush Germany (wir wollenDeutschland nicht zerschmettern). Diese vertrauliche Unterredung ist leider ver-öffentlicht worden. Damit hat Herr von Bethmann Hollweg die letzte Möglichkeitzerstört, über England den Frieden zu erlangen.

Lichnowsky wird in London besser behandelt als in Berlin .

Unsere Abreise vollzog sich durchaus würdig und ruhig. Vorher hatte derKönig seinen Equerry (Stallmeister) Sir E. Ponsonby zu mir gesandt, um sein Be-dauern über meine Abreise auszusprechen, und dass er mich nicht selbst sehenkonnte. Prinzess Louise schrieb mir, die ganze Familie betrauere unsern Fortgang.Mrs. Asquith und andere Freunde kamen zum Abschied in die Botschaft.

Ein Extrazug brachte uns nach Harwich . Dort war eine Ehrenkompagnie fürmich aufgestellt. Ich wurde wie ein abreisender Souverän behandelt. So endetemeine Londoner Mission. Sie scheiterte nicht an den Tücken der Briten , sondernan den Tücken unserer Politik. Auf dem Bahnhof in London hatte sich GrafMensdorff mit seinem Stabe eingefunden. Er war vergnügt und gab mir zu verstehendass er vielleicht dort bliebe, den Engländern aber sagte er, Oesterreich habe denKrieg nicht gewollt, sondern wir.

Ein Rückblick aus dem Jahre 1916.

Wenn ich jetzt nach zwei Jahren mir alles rückwärts schauend vergegenwärtige,so sage ich mir, dass ich zu spät erkannte, dass kein Platz war für mich in einemSystem, das seit Jahren nur von Tradition und Routine lebte und das nur Vertreterduldet, die so berichten, wie man es lesen will. Vorurteilslosigkeit und unabhängigesUrteil werden bekämpft, Unfähigkeit und Charakterlosigkeit gepriesen und ge-schätzt, Erfolge aber erregen Missgunst und Beunruhigung.

Ich hatte den Widerstand gegen die wahnsinnige Dreibundpolitik aufgegeben,da ich einsah, dass es zwecklos war, und dass man meine Warnungen als Au-strophobie (Feindschaft gegen Oesterreich ), als fixe Idee hinstellte. In der Politik,die nicht Akrobatentum oder Aktensport ist, sondern das Geschäft der Firma, gibtes keine Philie oder Phobie (Feindschaft oder Freundschaft), sondern nur dasInteresse des Gemeinwesens. Eine Politik aber, die sich bloss auf Oesterreicher ,Madjaren und Türken stützt, muss in Gegensatz zu Russland geraten und schliesslichzur Katastrophe führen.

Trotz früherer Irrungen war im Jahr 1914 noch alles zu machen. Die Verständi-gung mit England war erreicht. Wir mussten einen wenigstens das Durchschnittsmasspolitischer Befähigung erreichenden Vertreter nach Petersburg senden und Russland die Gewissheit geben, dass wir weder die Meerengen beherrschen, noch die Serbenerdrosseln wollten.Lächez lAutriche et nous lächerons les Frangais (lasst Oester-reich fallen, und wir werden die Franzosen fallen lassen), sagte uns Herr Sasanow.Und Mr. Cambon sagte Herrn Jagow:Vous navez besoin de suivfe lAutrichepartout (Ihr braucht mit Oesterreich nicht alles mitzumachen).