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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
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Lichnowsky ist für Serbien und gegen Polen und Oesterreich.

Weder Bündnisse noch Kriege, sondern nur Verträge brauchten wir, die unsund andere schützten und einen wirtschaftlichen Aufschwung sicherten, der in derGeschichte ohne Vorgang war. War Russland aber im Westen entlastet, so konntees sich wieder nach Osten wenden, und der anglo-russische Gegensatz trat alsdannautomatisch und ohne unsere Mitwirkung hervor, nicht minder aber der russisch-japanische.

Wir konnten auch der Frage der Rüstungsbeschränkung näher treten und brauch-ten uns um österreichische Wirrnisse nicht mehr zu kümmern. Oesterreich-Ungarnwar dann der Vasall des Deutschen Reiches und ohne Bündnis und namentlich ohneLiebesdienste, die schliesslich zum Kriege führen für die Befreiung Polens und dieVernichtung Serbiens , obwohl die deutschen Interessen gerade das Gegenteil heischten.

Ich hatte in London eine Politik zu unterstützen, deren Irrlehre ich erkannte.Das hat sich an mir gerächt, denn es war eine Sünde wider den Heiligen Geist.

Die deutsche Regierung benutzt Lichnowsky als Sündenbock.

ln Berlin angekommen, sah ich sofort, dass ich zum Sündenbock für die Kata-strophe gemacht werden sollte, die unsere Regierung im Gegensatz zu meinenRatschlägen und Warnungen verschuldet hatte.

Von amtlicher Seite wurde geflissentlich verbreitet, ich hätte mich durch SirEd. Grey täuschen lassen, denn wenn er den Krieg nicht gewollt, würde Russland nicht mobilisiert haben. Graf Pourtales, auf dessen Berichterstattung man sichverlassen konnte, sollte geschont werden, schon wegen seiner Verwandtschaft. Erhabe sichgrossartig benommen, er wurde begeistert gelobt, ich um so schärfergetadelt.

Was geht denn Serbien Russland an? sagte mir dieser Staatsmann nachachtjähriger Amtszeit in Petersburg. Die ganze Sache sollte eine britische Tückesein, die ich nicht gemerkt. Im Amte erklärte man mir auch, im Jahre 1916 wärees doch zum Kriege gekommen, dann wäre Russland fertig, daher sei es besserjetzt.

Faclt aus den Farbbüchern der Entente.

Wir haben, wie aus allen amtlichen Veröffentlichungen hervorgeht und auchdurch unser Weissbuch nicht widerlegt wird, das durch seine Dürftigkeit undLückenhaftigkeit eine schwere Selbstanklage darstellt: 1. den Grafen Berchtold er-mutigt, Serbien anzugreifen, obwohl kein deutsches Interesse vorlag und die Gefahreines Weltkrieges uns bekannt sein musste ob wir den Wortlaut des Ultimatumsgekannt, ist völlig gleichgültig; 2. in den Tagen zwischen dem 23. und 30. Juli 1914,als Herr Sasanow mit Nachdruck erklärte, einen Angriff auf Serbien nicht duldenzu können, die britischen Vermittelungsvorschläge abgelehnt, obwohl Serbien unterrussischem und britischem Drucke nahezu das ganze Ultimatum angenommen hatteund obwohl eine Einigung über die beiden fraglichen Punkte leicht zu erreichenund Graf Berchtold sogar bereit war, sich mit der serbischen Antwort zu be-gnügen ; 3. am 30. Juli, als Graf Berchtold einlenken wollte, und ohne dass Oester-reich angegriffen war, auf die blosse Mobilmachung Russlands hin ein Ultimatumnach Petersburg geschickt und am 31. Juli den Russen den Krieg erklärt, obwohlder Zar sein Wort verpfändete, solange noch unterhandelt wird, keinen Mann