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So endete meine Londoner Mission. Sie scheiterte nicht an den Tücken der Briten ,sondern an den Tücken unserer Politik“. Auch hier ist es selbstverständlich, dassman den Nachsatz als Schlussfolgerung aus der prunkvollen Behandlung, die Lich-nowsky durch die Engländer erfuhr, nicht ernst nehmen kann, umsoweniger als derFürst in der Tat nicht nur in seinem eigenen Falle die weltgeschichtlichen Ereig-nisse aus der Perspektive des Extrazuges betrachtet, sondern sogar Bismarks Werkin dieser Weise beurteilt. Man lese, wie er über Bismarck und Gortschakowurteilt: „Gortschakow hatte ihn (Bismarck) wiederholt geärgert, der sich für grösserhielt. Er wurde bis hart an den Krieg bekämpft, sogar durch Entziehung desSalonwagens. So entstand der traurige Dreibund.“ Der Dreibund als Folge einesentzogenen Salonwagens . . .! Das ist ein Beispiel einer subjektiven Geschichts-betrachtung, deren Schwäche der Leser der Denkschrift an Dutzenden ähnlicherüberraschender Urteile feststellen konnte.
Welchem gewissenhaften Leser wird es aber nun einfallen, deshalb das Kindmit dem Bade auszuschütten ? Es genügt, diese Schwächen zu erkennen, um ausihnen die notwendigen Folgerungen zu ziehen. Welche Folgerungen? Etwa die,dass die ganze Denkschrift von Anfang bis zu Ende Blödsinn oder ein böswilligesUnternehmen ist? Mit nichten. Die einfache Folgerung, dass sie kritisch zu lesenist, dass wir alles auszumerzen haben, was sich ohne weiteres, auch für den Freunddes Fürsten — und sicher für ihn selbst — als unhaltbar erweist, und dass wiruns nur an den sachlichen Tatbestand halten dürfen. Es ist kein Grund vorhanden,nur weil manches auf den ersten Blick unwahrscheinlich wirkt, auch das Tatsäch-liche ausser Acht zu lassen.
Diese selbstverständliche Methode der säuberlichen Sichtung haben wir, wiewir bereits in den einleitenden Worten zum Neudruck der Denkschrift selbst an-deuteten, vor allem auch überall dort anzuwenden, wo eigenes mit fremdem Gutvermengt ist, wo die Erfahrungen und selbständigen Urteile des Fürsten sich über-gangslos an Rekapitulationen von Urteilen auf Grund längst bekannter und nichtimmer einwandfreier Quellen anschliessen. Nur so können wir den Fürsten gerechtbeurteilen, nur so können wir das wirklich neue Material, das der Fürst bietet,erkennen und uns davor bewahren, es mit nachträglichen Schlussfolgerungen zubeschweren und den Fürsten für Mitteilungen verantwortlich zu machen, für dieer nicht verantwortlich ist. Bei einer solchen Sichtung, die jeder Leser ohne be-sondere Voraussetzungen durchführen kann, können wir es uns ersparen, die An-sichten des Fürsten mit schwerfälligen Dokumenten zu widerlegen. Das könnenwir den deutschen Offiziösen überlassen, die mit dem schweren Geschütz des be-kannten amtlichen Farbbüchermaterials, mit dem man alles „beweisen“ und alles„widerlegen“ kann, den Fürsten mundtot zu machen versuchten.
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Bei einer kritischen Betrachtung der Denkschrift sind vier Teile zu unter-scheiden, deren Inhalt sich folgendermassen angeben lässt:
A. Die weitere Vorgeschichte des Krieges.
B. Die Krisis unmittelbar vor Kriegsausbruch.
C. Die allgemeine politische Atmosphäre.