Print 
Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
Place and Date of Creation
Page
43
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 
  

43

Deutschland etwas von Russland erlangen will, muss es in London um Vermittlungbitten, da England starken Einfluss auf Russland ausübt. Die russisch -italienischenBeziehungen werden sehr intim.

Frankreich .

Lieber Frankreich, seine Politik, seine Beziehungen zu Deutschland erfahrenwir nichts.

Italien .

Italien ist längst bereit zum Abfall.

England .

Den grössten Raum nimmt die englische Politik ein. Sie spielt die hervor-ragendste und beherrschende Rolle in Europa .

Sir Ed. Grey macht die auswärtige Politik fast yöllig allein. Wenn er in wichtigenFällen die übrigen Minister befragt, werden seine Vorschläge ausnahmslos ange-nommen. Der Ministerpräsident interessiert sich nicht für auswärtige Politik.

England ist eng mit Russland verbunden. Der englische Einfluss in Russland ist gross. England ist auf jeden Fall entschlossen, im Kriegsfälle Frankreichs Partei zu ergreifen und gegen Deutschland zu marschieren. England hat mit Frank-reich hierauf bezügliche geheime Abmachungen abgeschlossen. Interessant ist dieFeststellung Lichnowskys, dass Grey seinen Wunsch nach Veröffentlichung desKolonialabkommens über Portugal mit der Versicherung rechtfertigt, England habekeine Geheimverträge. Andererseits stellt aber Lichnowsky die seitdem bekanntgewordenen entscheidenden Geheimabmachungen zwischen England und Frank-reich fest.

Englands Politik Deutschland gegenüber geht von dem Grundsatz aus, Deutsch-land von Europa abzulenken. Daher Englands Bereitwilligkeit, Deutschland einenAnteil bei der Aufteilung der Türkei in Einflußsphären und der Teilung der portu-giesischen Kolonien zu sichern.

England ist Verbündeter Portugals , beherrscht aber dieses völlig als seinenVasallen. Sein Bündnisvertrag hindert es nicht, Deutschland die Teilung der Kolo-nien Portugals anzubieten.

England will einen Vertrag zum Zwecke späterer Aufteilung der belgischenKongokolonie mit Deutschland abschliessen. Deutschland lehnt aus Rücksicht aufBelgien ab. Zur Annahme des Vertrages über Portugal entschliesst es sich erstkurz vor Kriegsausbruch, was allerdings nicht darauf hindeutet, dass man inBerlin auf einen Kriegsausbruch rechnete. England will eine Verständigung mitDeutschland unter der Voraussetzung, dass es seine Bündnisabmachungen mitFrankreich und England und seine Flottenvorherrschaft aufrecht erhält. Als wirklicheBedrohung fasst England die deutsche Flotte nicht auf zwischen Grey und Lich-nowsky wird nie über die Flottenfrage gesprochen sondern mehr als Unbe-quemlichkeit. England würde bei Wahrung seines Vorsprunges aber gerne einenStillstand im beiderseitigen Flottenbau sehen, um seine Steuerlasten einzuschränken.

Das sind in wenigen Strichen die geschichtlichen Tatsachen aus der Vorzeitdes Krieges, wie sie sich aus dem betreffenden Abschnitt der LichnowskyschenDenkschrift ergeben. Losgelöst von dem feuilletonistischen Geplauder und densubjektiven Ausbrüchen stellen sie sich als ziemlich zuverlässige Schilderung der