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geführten Zitate aus dem englischen Blaubuch, in dem Grey die deutschen Be-mühungen in Wien anerkennt und deutsche Gegenvorschläge, die er akzeptiert,verzeichnet, machten es unbedingt nötig, dass Lichnowsky für seine AuffassungBelege brachte und sich nicht mit einigen Bemerkungen begnügte, die sogar imZusammenhang seiner eigenen Darstellung der Ergänzung bedürfen. Auf Beweisegestützt, hätte dieser Satz entscheidende Bedeutung erlangen hönnen. Da er anund für sich natürlich kein Beweis ist, bleibt er historisch belanglos.Wirklichen Wert maßen ihm übrigens auch nur die Alldeutschen und ihre offiziösenSchleppenträger bei, die es sich nicht nehmen Hessen , gerade auf diesen Aeusse-rungen herumzureiten, um den Fürsten des Hochverrates zu bezichtigen.
Als einen Beitrag, der unsere Kenntnis von der Vorgeschichte des Kriegesbereichert, können wir ebensowenig die Mitteilungen buchen, die dem Fürsten nachträglich zugeflogen sind, und für die er nicht als Zeuge einstehen und keinenGewährsmann nennen kann. Dazu gehört alles was er über Tschirschky und Pour-tales sagt, das, was er über die entscheidende Besprechung in Potsdam am 5. Julianführt, auf der die Wiener Politik gegen Serbien gebilligt worden sei. Beidiesen und anderen Aeusserungen fügt übrigens Lichnowsky loyalerweise stets hinzu:„später erfuhr ich“ , oder „wie ich nachträglich erfuhr“. Es war zweifellos sein gutesRecht, in privaten Aufzeichnungen, die nicht als historisches Dokument gedachtwaren, diese und andere Gerüchte einzutragen. Und, hätte er sie je selbst ver-öffentlicht, so hätte er sie sicher entweder zu belegen versucht, oder gestrichen.Der Satz: „Je mehr ich drängte, um so weniger wollte man einlenken, schon, weilich nicht den Erfolg haben sollte, mit Sir Edward Grey den Frieden zu retten,“gehört ebenfalls in die Kategorie solcher Aussprüche. Denn wenn man auch imUebrigen vom Auswärtigen Amt in Berlin so denken kann wie der Fürst, niemandwird dem Amt doch Zutrauen, dass es das Schicksal eines Landes dem niedrigenund lächerlichen Gesichtspunkt unterordnete, den Lichnowsky hier in seiner Er-bitterung als ausschlaggebend für die Entfesselung des Krieges hinstellt. Undähnlich wird man die Urteile über viele Dinge und Persönlichkeiten auffassen müssen.
Was nun das wirkliche und einzig massgebende Tatsachenmaterial betrifft, dasLichnowsky in diesem Teil seiner Denkschrift bietet, so muss man, um seine Dürf-tigkeit zu verstehen, wiederum in Betracht ziehen, dass er über eine Reihe wich-tigster Fragen überhaupt nicht unterrichtet wurde.
Was die Berliner Entschliessungen anbelangt, so war er, wie bereits gesagt,auf ganz flüchtige Eindrücke angewiesen: „An Bord des Meteor erfuhren wir denTod des Erzherzogthronfolgers. S. M. bedauerte, dass dadurch seine Bemühungen,den hohen Herrn für seine Ideen zu. gewinnen, vergeblich waren. Ob der Planeiner aktiven Politik gegen Serbien schon in Konopischt festgelegt wurde, kannich nicht wissen“. Welche Ideen Lichnowsky meint, ist nicht ersichtlich. Bekanntist nur, dass Lichnowsky den Kaiser und den Erzherzog nicht für friedensfeindlichhält. Wollte der Kaiser Deutschland von der Wiener Politik emanzipieren? Wichtigerist die Mitteilung, dass dem Fürsten nichts über einen in Konopischt gefasstenAktionsplan gegen Serbien bekannt war. Man darf wohl annehmen, dass, hätteein solcher Plan bestanden, er auf dem Meteor bei den Gesprächen über die Er-mordung Franz Ferdinands darüber unterrichtet worden wäre.
Was die Wiener Entschliessungen betrifft, so sagt Lichnowsky, dass er „überWiener Ansichten und Vorgänge nicht unterrichtet war“, ln Berlin konnte er nicht