Druckschrift 
Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
Entstehung
Seite
47
Einzelbild herunterladen
 
  

47

viel erfahren, da er sichauf dem Wege nach London dort nurwenige Stundenaufhielt. Er hörte nur,dass Oesterreich beabsichtige, gegen Serbien vorzugehen,um unhaltbaren Zuständen ein Ende zu machen. Wo er das hörte, wird nichtgesagt, ist aber auch belanglos, da seinerzeit die gesamte österreichische undeuropäische Presse diese Mitteilung brachte und die Ententediplomatie bereits un-mittelbar nach Ermordung des Thronfolgers über diese Absichten unterrichtet war,wie das französische Gelbbuch beispielsweise beweist. Das hat natürlich die Feindedes Fürsten nicht gehindert, ihn wegen dieser Wendung ebenfalls zu beschimpfen.

Seine wirkliche Kenntnis von den Vorgängen hat der Fürst also in ersterLinie aus seinen Londoner Beobachtungen und aus den Instruktionen und Berichten,die ihm aus Berlin zugingen. Von seinen Beobachtungen in London kann mannaturgemäss nicht viel Neues erwarten. Für Deutschland Günstiges und England Ungünstiges hätte das Auswärtige Amt sicher längst veröffentlicht! Für England Günstiges und Deutschland Belastendes hätte die englische Regierung ihrerseitsmitgeteilt. Wirkliche Enthüllungen durften wir also nur in Mitteilungen aus bisherunbekannten Berliner Erlassen an Lichnowsky suchen. Begreiflicherweise galt auch,als man erfuhr, dass ein früherer deutscher Botschafter eine vom Auswärtigen Amt bekämpfte und unterdrückte Denkschrift geschrieben hatte, die öffentliche Neugiersolchen etwaigen Enthüllungen.

Die Enttäuschung war gross und ist wohl auch von den Lesern der in dieserAusgabe abgedruckten Denkschrift geteilt worden. So schmerzlich das auch Lich-nowskys Gegnern sein mag, er berichtet in der Tat nichts über die Instruktionenseiner Regierung, was nicht längst bekannt war. Die Erlasse des Amtes haben danachfolgenden Inhalt: Der Fürst möge darauf hinwirken, dass die englische Presseeine freundliche Haltung anlässlich des österreichischen Vorgehens gegen Serbien einnehme. Die Gefahr eines Krieges bestehe nicht, da Russland nachgeben werde;eine Nichtunterstützung Oesterreichs dagegen würde die russische deutschfeindlicheStimmung nur gefährlich erhöhen. Lichnowsky möge auf die Lokalisierung desKonfliktes hinwirken. All das ausgenommen natürlich der Beeinflussungsversuchder englischen Presse ist aus dem deutschen Weissbuch und dem englischenBlaubuch bekannt. Schliesslich berührt der Fürst auch noch den ebenfalls be-kannten Schriftwechsel über sein berühmtesMissverständnis. Grey hatte Tyrellam 1. August zu Lichnowsky mit der Frage geschickt, ob Deutschland neutralbleiben würde, wenn Frankreich auch neutral bliebe. Lichnowsky verstand diesenVorschlag falsch. Er teilte ihn nach Berlin in der Form mit, ob Deutschland bereitsei, auf einen Krieg mit Frankreich zu verzichten. Diese Unterredung wurde, wieLichnowsky sagt, von Berlin zu einer weitgehenden Aktion benutzt, ln der Taterteilten der Kaiser und der Kanzler sofort ihre Zustimmung. Lichnowsky erzähltjetzt, dass Grey auch Deutschlands Neutralität im österreichisch-russischen Kriegegemeint habe, setzt aber hinzu, dass weiter die Frage besprochen wurde, ob Deutsch-land und Frankreich, trotz der Entfesselung des Krieges auf den andern Kriegs-schauplätzen, nicht einander bewaffnet, aber ohne kriegerische Aktionen, gegenüber-stehen könnten, ein Plan, der wie gesagt von Deutschland angenommen, dann vonEngland aufgegeben worden war.

Schliesslich muss noch folgende Bemerkung Lichnowskys als Niederschlagder Berliner Berichte gelten: