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Die Denkschrift des Fürsten Lichnowsky : [der vollständige Wortlaut] ; meine Londoner Mission 1912 - 14, von Fürst Lichnowsky, ehemaliger deutscher Botschafter in London ; [zur Vorgeschichte des Krieges] / hrsg. von einer Gruppe von Friedensfreunden
Entstehung
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zeichnet hatte und absolut auf Russlands Seite stand, aus dem Botschafter Italiens dessen Abfall Lichnowsky selber feststellt, und aus Lichnowsky, der ein einge-standener Feind Oesterreichs war. Dass damit Oesterreichs Interessen ohne weiteresverraten waren, ist klar.

Es ist eine merkwürdige Tragik der Geschichte, dass u. a. wohl gerade die Per-sönlichkeit Lichnowskys, der ein überzeugter Freund und Anhänger der Konferenzidee,war, dazu beitrug, den Konferenzplan unmöglich zu machen. Wie immer auch dasösterreichische Vorgehen gegen Serbien beurteilt wird, die Konferenz war unan-nehmbar und eine Unmöglichkeit, wenn sie sich nur aus Gegnern Oesterreichs zusammensetzte. Der einzige, auf den Oesterreich unter diesen Umständen rechnenkonnte, wäre vielleicht nur Sir Edward Grey gewesen, der die österreichischePolitik zweifellos weit weniger verurteilte als der deutsche Botschafter! Aber Greywaren Russland gegenüber die Hände gebunden, er musste mit der Entente gehen,wollte er nicht die gesamte britische Politik aus ihrer bisherigen Richtung abbiegen.War aber ein Eintreten Greys für Oesterreich überhaupt wahrscheinlich, und hättees bei der sonstigen Zusammensetzung der Konferenz nicht erfolglos sein müssen ?Auf jeden Fall war Lichnowsky nicht der Mann, den im Fall einer KonferenzDeutschland zur Unterstützung der österreichischen Politik in London brauchte,wie er auch nicht der Mann war, auf dessen Mitarbeit die deutsche Regierung zurFörderung einer eigenen agressiven Politik oder gar zur Entfesselung des Kriegesrechnen konnte. Das geht auf jeden Fall aus der Denkschrift hervor.

Und diese Tatsache ist bezeichnend für den ganzenFall Lichnowsky. DerFürst glaubt, dass seine Regierung nichts tat, um zu einer Verständigung mitEngland zu gelangen und den Krieg zu vermeiden. Aber andererseits zeugt seinePerson selbst dafür, dass diese selbe Regierung einen Mann nach London schickte,der mit seiner ganzen Seele an der Verständigung mit England hing, dass man anden massgebenden Posten, an dem man am erfolgreichsten für den Krieg oderden Frieden arbeiten konnte, einen überzeugten Friedenspolitiker gestellt hatte!Und endlich bestätigt nicht auch die Persönlichkeit Lichnowskys, der als GegnerOesterreichs bekannt war, dass die deutsche Auslandspolitik doch nicht so ganzim Banne Wiens stand, wie er fürchtete?

C. Die allgemeine politische Atmosphäre.

ln den Darlegungen, die sich auf die allgemeine politische Atmosphäre inEuropa vor Kriegsausbruch beziehen, beruht der Hauptwert der Denkschrift. Hiererreicht sie zeitweise die Bedeutung eines Dokuments, ln diesen Darlegungenliegt ihr dauernder Wert, in ihnen wurzelt die starke Wirkung nicht die Sensations-wirkung, die sich wie immer an Belangloses haftet sondern eine dauerhafteaufklärende Wirkung, die nicht hoch genug zu werten ist.

Lichnowsky will allerdings hier gerade kein Erzieher und Aufklärer sein. Aberso wenig er gerade dort bietet, wo er aufklären und schulmeistern will, soviel gibt er hier, wo er einfach berichtet. Man hat diese Schilderungen nicht mitUnrecht als Gesellschaftsklatsch empfunden. Das hindert nicht, dass wir aus ihnenam Meisten lernen.

Fürst Lichnowsky entwirft ein Bild der Leute, die die Welt regieren, die Welt,die sich jetzt in den Schrecknissen des Krieges windet. Es ist ein Bild der sogenanntenherrschenden Kreise. Seine Modelle nimmt er in Berlin und London . Den ersten