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Fürst Lichnowsky schildert vom feindlichen Standpunkt aus die Zustände inDeutschland und kommt zu dem richtigen Schluss, dass der deutsche Militarismusverschwinden, dass Deutschland demokratisiert, dass Belgien und Serbien wiederhergestellt werden müssen. Es ist nur schade, dass er sich gleichzeitig gegen dieSelbständigkeit Polens ausspricht und sein demokratisches Friedensprogrammdadurch der Wirksamkeit in Deutschland beraubt, dass er den Sieg des eng-lischen Imperalismus nicht nur wünscht, sondern als sichere Folge eines Verständi-gungsfriedens ausmalt. Zu diesen Anschauungen gelangt er allerdings auf Grundunrichtiger Prophezeihungen über die Entwicklung des Krieges. ZurZeit der Nieder-schrift — im Jahre 1916 — war er durch Rumäniens Kriegseintritt erschreckt, warder Zarismus noch am Ruder, glaubte er nicht an einen Erfolg des „wahnwitzigenU-Bootkriegs“.
Sein Wunsch nach einem Verständigungsfrieden macht ihm alle Ehre und wirktsympathisch. Aber Lichnowsky leistet diesem Frieden keinen Vorschub, wenn er,im Tone der Resignation beginnend, im Tone der Begeisterung endend, als Folgeeines unentschiedenen, d. h. ohne deutschen Sieg endigenden Krieges, als Folgeeines sogenannten Verständigungsfriedens die englische Weltherrschaft ausmalt.Er begnügt sich dabei nicht, festzustellen, dass für Deutschland kein Platz mehrin der grossen Welt sein wird, dass es sich mit geistiger Arbeit begnügenmüsse und dass England sich mit Russland und Japan in Asien teilen werde. Nein,er malt in besonders eindrucksvollen Farben die ungeheure Hegemonie aus, dieEngland über die ganze Welt, seine Verbündeten inbegriffen , ausüben wird. Afrika wird englisch sein, wie Amerika, Australien und Ozeanien. Die lateinischen StaatenEuropas werden zu britischen Vasallenvölkern, das völlig erschöpfte Frankreich, Italien, selbst Spanien. Die Ausbreitung des Britentums, die uneingeschränkteHerrschaft des englischen Imperalismus ist das Heil der Welt. Dass eine derartigeAusmalung der englischen „Weltmission“ in Deutschland böses Blut machen musste,kann man verstehen. Dass sie aber auch England nicht erwünscht ist, schon mitRücksicht auf seine Verbündeten, liegt ebenfalls auf der Hand. Willkommen kannsie nur den Alldeutschen sein. Aus diesem Grunde, — nicht weil wir in Lichnowskysenglandfreundlicher Gesinnung, undedingt ein „Verbrechen“ sehen oder seine Dar-stellung der englischen Politik für unzuverlässig halten, müssen wir die letztenSchlussfolgerungen, in die die Denkschrift ausmündet, tief bedauern. Sie sindWasser auf die Mühle der Alldeutschen und der preussischen Generäle. War esnötig, dass Lichnowsky auf diese Weise mit einer Schrift, die seine eigene Politikrechtfertigen sollte, die Politik der deutschen Ueberpatrioten rechtfertigt, die über-all die englische Gefahr wittern ? War es klug, dass er die Folgen eines unent-schiedenen Krieges — nicht einmal einer deutschen Niederlage! — in dieser Weisedarstellte, dass er die Merkmale des Verständigungsfriedens in der AusschaltungDeutschlands, der Unterwerfung Frankreichs, Italiens, Spaniens unter England , inder Aufrichtung der englischen Herrschaft über die ganze Welt sah? Diese Dar-stellung wird in der Vaterlandspartei grosse Freude erregen. Man wird dorttriumphierend Lichnowsky als Kronzeugen für die Gefahr eines „faulen Friedens“»für die Notwendigkeit des „Sieg-Friedens“ anrufen.
Wir wollen nicht von unserem Thema abschweifen, das nur den Wert derDenkschrift als Beitrag zur Erkenntnis der Kriegsursachen in Betracht ziehen will.Aber auch unter diesem Gesichtspunkt kann die Darstellung, die Lichnowsky von