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der britischen Politik gibt, nicht übergangen werden. Schon vorher, in seinen Dar-stellungen über die Zeit vor dem Kriege, stellte er die zielbewusste englische Aus-breitung in der Welt fest, die Absicht, Deutschland von europäischen Zielen fern-zuhalten und nur durch gutmütige Beteiligung an englischen Kolonialplänen zubefriedigen, ln seinem Schlusswort zeigt er nun, wie traurig die weltpolitischeZukunft Deutschlands bestellt ist. „Die Welt wird den Angelsachsen , Russen undJapanern gehören und der Deutsche allein bleiben mit Oesterreich und Ungarn. Seine Machtherrschaft wird die des Gedankens und des Handels sein, nicht aberdie des Bureaukraten und Soldaten. Er war zu spät erschienen, und die letzteMöglichkeit, das Versäumte nachzuholen, ein Kolonialreich zu gründen, hat derWeltkrieg vernichtet, denn wir werden die Söhne lahwes nicht verdrängen,das Programm des grossen Rhodes wird sich erfüllen, der in der Ausbreitung desBrifentums, im britischen Imperialismus, das Heil der Menschheit erblickte.“
War sich der Fürst, als er diese und ähnliche Worte niederschrieb, wie sie auchvor dem Kriege andere deutsche Politiker im Munde führten, klar darüber, dasser sich damit die These von der Einkreisung Deutschlands , dem man nicht denPlatz an der Sonne gönnte, zu eigen macht? Tatsächlich zeigt er uns eine Welt-lage vor Kriegsausbruch, die sich mit den bekannten deutschen Vorwürfen deckt:die drohende englisch-russisch -japanische Umklammerung, die englische Welthege-monie. Für die Schuldfrage ist aber gerade diese Frage von Bedeutung. Allerdingsspielt sie für Lichnowsky selbst überall, wo er von der Schuldfrage spricht, keineRolle, da er ja tatsächlich Deutschland nicht ein einziges Mal vorwirft,den Krieg entfesselt zu haben, um sich aus dieser Aschenbrödelstellung zu befreien.
Schlusswort.
Wir haben mit unseren Betrachtungen zu der Denkschrift des Fürsten gesehen,dass sie in der Behandlung der unmittelbaren Kriegsursachen die bekannten Tat-sachen bestätigt, dass sie für die Erkenntnis der weiter zurückliegenden politischenVorgänge hier und da bemerkenswertes Material bietet, dass sie aber vor allemkulturgeschichtlich interessante und aufschlussreiche Aufzeichnungen über die wichtig-sten Persönlichkeiten der Vorgeschichte des Krieges enthält. Was die Schuldfragebetrifft, so verschiebt sie kaum das bisherige Bild. Die Ansichten und Sympathiendes Fürsten richten sich gegen Deutschland , seine sachlichen Angaben ‘be-lasten aber in auffälliger Weise England. Dort wo man Deutschland belastendeEnthüllungen am ehesten vermutet hätte, schweigt der Verfasser, und seine Sym-pathien für England sind häufig aufschlussreicher als seine Antipathien gegen diedeutsche Regierung. Seine Denkschrift ist kein J’Accuse und kein Dokument.Sie gehört zwar in die Archive des Krieges, aber in die Abteilung Curiosa. Sie istein typisches Memoir, das leider nur Brouillon blieb und fragmentarisch wirkt.
Das Unglück des Fürsten war es, dass er einem Vertrauensbruch zum Opferfiel und seine Schrift in die Oeffentlichkeit gelangte. An dem privaten Charakterder Denkschrift liegt es auch, wenn manches so falsch und kindlich ge-schildert ist. Ihrem privaten Charakter danken wir es aber wieder, dass manchnützliche, wenn auch ungewollte, doch gerade darum nützliche Feststellung unterlief.
Ein Vorbild für Diplomaten und solche die es werden wollen, ist der Fürstvielleicht nicht. Aber einen Hochverräter oder Schwachkopf dürfen ihn seine Gegner