Druckschrift 
Meister des Plagiats oder die Kunst der Abschriftstellerei / Paul Englisch
Seite
6
Einzelbild herunterladen
 
  

nes, Anaxagoras, Euripides, Gorgias , Hero-dot, Hesiod, Homer , Isokrates, Menandros,Plato, Sophokles, Vergil um nur die bekanntestenNamen zu nennen nicht dem Vorwurf, Plagiator zu sein 2 ).

Man verstehe mich recht: Es soll hier keine Lanze gebrochenwerden für das große Heer der Abschriftsteiler, die, aus Mangelan eigenen Gedanken, diese von ideenreicheren Vorbildernzwangsweise sich ausleihen. Es geht jedoch zu weit, wenn mandie Übernahme von Motiven, Urteilen, einzelnen Redewendungenund Ausdrücken bereits als unerlaubt ansieht. Kriterium wirdund muß stets sein, ob der Autor den Palast oder auch nur diebescheidene Hütte seines Gedankenaufbaus aus überall ge-schickt zusammengetragenen Bausteinen errichtet hat (was manzweifellos als unzulässiges Plagiat bezeichnen muß), oder aber,ob er nur einzelne behauene Blöcke zum Aufputz seines auchohne sie bestehenden Bauwerkes, also lediglich zum sonst leichtentbehrlichen Schmuck verwendete. Hier kann man schlimm-stenfalls von mangelnder Originalität, von A n lehnung, dochvon keiner E n t lehnung sprechen. Immer wird man sich dieFrage vorlegen müssen: Worin besteht das aus Eigenem Ge-schaffene? Muß dieses als so überragend angesehen werden,daß gelegentliche Anlehnungen daneben verschwinden oderaber: wäre das Werk ohne das Vorbild nicht denkbar? Wiekein Schriftsteller und kein Dichter aus der Tiefe seines Gemütsheraus seine Stoffe wählt, sondern an Bestehendes anknüpfen,seine Stoffe aus der Wirklichkeit nehmen muß, ohne daß esjemandem einfallen würde, sie des Plagiats zu beschuldigen,ebenso muß es ihnen erlaubt sein, mit ihrer Quelle nach Be-lieben frei zu schalten oder auch sich eng an sie anzulehnen.Diese Abhängigkeit kann so weit gehen, daß einzelne Worte,Redewendungen, ganze Sätze, auch treffende Milieuschilde-rungen in das neu zu schaffende Werk mit übernommen werden.Das ist durchaus zulässig, weil das Werk auch ohne diese An-leihen bestehen könnte und durch sie nur erhöhten Glanz er-

*) Vgl. E. Stemplinger, Das Plagiat in der griechischen Literatur. Leipzig und Berlin 1912, S. 291.

6