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Meister des Plagiats oder die Kunst der Abschriftstellerei / Paul Englisch
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hält. Wenn deshalb Frank Wedekind in seinem histo-rischen SchauspielBismarck" aus dessenGedanken und Er-innerungen" einzelne Stellen wörtlich übernahm oder Fritzvon Unruh in seinem BuchFlügel der Nike" (1925) ganzeAbschnitte aus einem Führer durch die Umgebung von Paris ,der ihm von Andre Germain geliehen war, in sein Werkmit verwob, so liegt wirklich kein Grund zur moralischen Ent-rüstung vor, da diese verhältnismäßig geringfügigen Passagenweder mit der Erfindung der Fabel, noch der Gestaltung desStoffes, noch der Dialogführung etwas zu tun haben, sondernlediglich zur Untermalung dienen. Wenn der Autor souveränsein Thema beherrscht und wie ein Heerführer über seineTruppen nach einem genau festgelegten Feldzugsplan gebietet,wenn er nur sonst seinen eigenen Stil schreibt, so ist wirklichnicht recht einzusehen, warum er daran gehindert sein sollte,in grandioser Überarbeitung des vorliegenden Rohstoffes demso gewonnenen Ganzen sein eigenes Gepräge zu geben.

Bedeutungslos sind auch Ubereinstimmungen, die nicht immerals Plagiate anzusehen sind, sich vielmehr als unbewußte Re-miniszenzen erklären lassen. So hatte der Dichter G o d e a uin einer Ode an König Ludwig XIII . einige an sich nicht sonder-lich überwältigende Verse verbrochen, in denen er von dermenschlichen Eitelkeit spricht:

Mais leur gloire tombe par terre,et comme eile a l'eclat du verre,eile en a la fragilite.

Nun findet sich im vierten Akt desPolyeucte" von PierreCorneille eine Stelle, die fast wörtliche Übereinstimmungzeigt:

Toute notre felicite

Sujette ä l'instabilite,

En moins de rien tombe par terre,

Et comme eile a l'eclat du verre,

Elle en a la fragilite.

Soll man hier von bewußter Anlehnung sprechen und nahm auchCorneille das Gute, wo er es fand, gleich Moliere? 3 )

') Vgl. Kerviller, Sur un plagiat, in: Miscellanees bibliographiquespublikes par Edouard Rouveyre, Paris 1879, 2. partie, S. 31.