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Meister des Plagiats oder die Kunst der Abschriftstellerei / Paul Englisch
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Mit Recht verlangt man von einem ernstzunehmenden Schrift-steller eigenen Gedankenflug, seihständige Ideen und originärenStil. Allein das Haschen nach Originalität kann in Manieriert-heit ausarten und unter Umständen so lächerlich wirken, wie dieAufgeblasenheit desOriginals" bei L e s s i n g, von dem dieserwitzig schloß:

D. h., wenn ich ihn recht verstand:Ich bin ein Narr auf eigne Hand!"

Und Goethe äußert sich zu diesem Punkte in einem seinerSprüche sehr treffend:Was kann die Nachwelt denken, wasnicht die Vorwelt schon gedacht?"

Anatole France drückte diese Überzeugung Goethesnur mit anderen Worten aus, wenn er sagt, daß eine Idee ledig-lich durch ihre Form Wert erhält, und daß einer alten Idee eineneue Form geben die ganze Kunst und die einzige Schöpfungist, die der Menschheit möglich sei. Anatole France scheut sichnicht, dem Standpunkt Pierre Bayles beizutreten, für den(und in diesem Punkt bildet er das Sprachrohr seiner Zeit) derPlagiator ein Mann ist, der ohne Geschmack undUrteil die Wohnungen der Ideale plündert. Ein solcher Abc-Schütze sei unwürdig, zu schreiben und zu lesen. Der Schrift-steller hingegen, der von anderen nur gerade das entlehnt, wasihm als gut und günstig erscheint, der also zu wählen versteht,sei ein Ehrenmann. Man lasse sich jedoch durch die befrem-dende Äußerung von France , dieses sokratischen Ironikers,nicht irre führen. Hier muß man wirklich einmal päpstlicherals der Papst sein und darf nicht glauben, daß, wenn unserSchriftsteller in abgeklärter Unbefangenheit eineApologie desPlagiats" 4 ) schreibt, er selbst nun zum nachbetenden Plagiatorherabgesunken wäre. Gewiß ist es richtig, daß einige seinerKritiker ihm Anlehnungen an Racine, Voltaire , Renan,Flaubert u. a. nachgewiesen haben. Und ebenso ist esrichtig, daß er in seinem BucheSur la pierre blanche" fürseine NovelleGallio" Ernst Renan als Vorlage benutzte,

*) ImBerliner Tageblatt" Nr. 25 vom 16. Januar 1921.

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