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Meister des Plagiats oder die Kunst der Abschriftstellerei / Paul Englisch
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lebendige Odem und Geist, den er seinem Werke einzublasenvermag, und die Schönheit und Anmut, die er darüber auszu-gießen weiß."

Bei der Gebrauchsgraphik hingegen entscheidetweniger das Wollen des Künstlers, als der Auftrag und seinZweck. Bei der Unmasse der täglich für Reklamezwecke be-nötigten Gebrauchsgraphik und der oft nur kurzen Zeit, die zurAusarbeitung zur Verfügung bleibt, besteht die Gefahr, daß auchvielleicht sonst ergiebigste Brunnen sich einmal erschöpfen unddie Versuchung an den Künstler herantritt, Anlehnung beianderen zu suchen. Sofern lediglich die Benutzung einzelnerMotive in Frage kommt, wäre dagegen nichts einzuwenden. DieGrenzen des Erlaubten werden jedoch überschritten, wenn dieneue Arbeit lediglich ein stilisierter Abklatsch der Vorlage ist.Hier liegt echtes Plagiat vor. In seiner instruktiven SchriftDieschwarze Liste" (Leipzig, Kurt Wolff 1916) klopft HansRei-m a n n einigen bekannteren Plagiatoren recht empfindlich aufdie langen Finger. Die ZeitschriftDas Plakat" führte jahrelangeinen erbitterten Kampf gegen die Freibeuter auf dem Gebieteder Graphik 108 ).

Im allgemeinen aber wird man sich hüten müssen, mit demvernichtenden UrteilPlagiat" allzuschnell bei der Hand zusein, denn das verständnisvolle Urteil von Kurt Martens 104 ),das er über die Belletristik fällt, gilt natürlich mutatis mutandisauch für die anderen Kunstzweige:Wirklich schöpferische Be-gabungen sind heutzutage so selten, die Fülle der Assoziationenin unserer mit Wissensstoff und einem Wirrwarr sich durch-kreuzender Anschauungen und Velleitäten vollgepfropften euro-päischen Zivilisation so erdrückend, daß die Belletristik jedesMotiv, jeden Einfall, jede Führung und Verknotung der Hand-lung mit verschwindenden Ausnahmen schon irgendwo undirgendwann einmal erlebt hat und in ihrem Archiv verwahrt.

,03 ) Vgl. besonders die sehr aufschlußreichen Artikel von Hans MeyerPlakat und Plagiat" im Juli-Heft 1915 S. 150 ff. und März-Heft 1917 S. 81 ff.mit den zahlreichen anschaulichen Gegenüberstellungen.

1M ) InDie Literatur ", 1929, S. 384.

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