wir uns aneignen, was wir können und was uns gemäß ist. DieHauptsache ist, daß man eine Seele habe, die das Wahre liebtund es aufnimmt, wo sie es findet. Uberhaupt ist die Welt jetztso alt, und es haben seit Jahrtausenden so viele bedeutendeMenschen gelebt, daß wenig Neues mehr zu sagen und zu findenist. Meine Farbenlehre ist auch nicht durchaus neu. P 1 a t o ,Leonardo da Vinci und viele andere Treffliche habenim einzelnen vor mir dasselbe gefunden und gedacht. Aber daßich es auch fand, daß ich es wieder sagte und daß ich dafürstrebte, in einer konfusen Welt dem Wahren wieder Eingangzu schaffen, das ist mein Verdienst."
Kein Autor oder sonst ein bildender Künstler lebt ja so iso-liert, den Einflüssen der Vor- und Mitwelt entzogen, sondern erist ein Produkt der Erziehung und der Zeit, in der er lebt. Dieguten und dauernden Gedanken, denen man nicht mit derAngelrute eines Paragraphen nachrennen kann, sind nie dasResultat eines Einzelnen, sondern immer das Werk desKollektivbewußtseins eines ganzen Zeitalters. Pascal sagtin seinen „Pensees" einmal: „Manche Leser wollen, daß einAutor niemals über Dinge spreche, von denen schon andere ge-sprochen haben. Tut er es, so werfen sie ihm vor, er sage nichtsNeues. Beim Ballspielen benutzt der eine genau denselben Ballwie der andere. Aber der eine wirft ihn besser. Man könnteeinem Autor gerade so gut vorwerfen, daß er sich der altenWorte bediene: als ob dieselben Gedanken in anderer Anord-nung nicht einen anderen geistigen Organismus bildeten, genauso wie die Worte in anderer Anordnung andere Gedankenbilden." Goethe legte mit dem Recht des Usurpators Beschlagauf das Gute, wo er es fand: „Was d a ist, ist mein!" Eskommt eben nur darauf an, daß er dem Klumpen Lehm alsSchöpfer eine neue Seele einhauchte. Das allein entscheidet,nicht der Rohstoff, der für jeden bereit liegt, der in sich dieKraft des Bildners verspürt. Ein Ideenschutz, wie ihn RodaRoda 112 ) vorschlägt, wäre deshalb fehl am Platze.
"=) Im Berl. Tagebl. v. 9.12.1931.
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