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machen, so können doch die Regierungen, insbesondere die preus-sische und Reichsregierung, von einer grossen Verantwortung für ihreRegierungsthätigkeit oder Unthätigkeit bezüglich der Krise, nichtfreigesprochen werden. Man verlangt zunächst von jeder Regierungdie höchste theoretische und praktische Einsicht in volkswirtschaft-lichen Dingen, ruhige Beobachtung aller abnormaler Erscheinungen,Erkenntniss der wirthschaftlichen Krankeiten, Anwendung von Vor-beugungs-, Restriktions- und Heilmitteln, die in ihrer Macht stehen,endlich ein bewusstes Zusammenwirken aller Regierungsorgane zudiesem gemeinschaftlichen Zwecke. Wir möchten nicht behaupten,dass die preussische und Reichsregierung dieser Pflicht vollkommengenügt, sich dieser Aufgabe vollkommen gewachsen gezeigt hätten.Sie haben zunächst, ebenso wie Publikum und Börsen, den Zeit-punkt des wirklichen Eintritts der Krise, wo sich also die Preiseeines Zweiges nach dem andern in kritischer Weise über ihre Wertliehoben, verkannt, haben die gesunde Fortentwickelung nach demKriege nicht von dem Eintritt in die krankhafte Phase zu unter-scheiden gewusst, haben die Verwendung ihrer kolossalen Mittel nichtvon der gebotenen Rücksicht auf die kritischen Erscheinungen leitenlassen. Sie haben ferner die absolute Nothwendigkeit des Eintrittsvon Rückschlägen nicht vorausgesehen, sind demnach dem Speku-lationsfieber, so weit es an ihnen lag, nicht rechtzeitig entgegengetreten, sondern haben es sogar indirect schüren helfen, indem sie ihmMittel zuführten. Und eine fernere Frage ist es, ob sie die jetzigePhase des äussersten Rückschlags in ihrer Schwere erkennen und sichder Wege und Mittel zur Linderung und Heilung klar bewusst sind.Von einem einseitigen, vom Staats- und Banquierstandpunkt, mochtenalle getroffenen Maassregeln berechtigt sein; der Finanzminister alssolcher, die Präsidenten der Bank, der Seehandlung, haben alle Ope-rationen ihrer Ressorts sicherlich solid und zum Vortheil der Staats-kasse ausgeführt. Allein das volkswirtschaftliche Moment istüber dem finanziellen vergessen, der Zusammenhang soungeheurer finanzieller Bewegungen mit dem wirthschaft-lichen Leben der Nation nicht erkannt und also auch nichtberücksichtigt worden.
Wir sind oben dem Unsinn entgegen getreten, die französischeKriegsentschädigung an sich als eine positive Ursache der Krisisanzusehen, wenn auch die falschen Vorstellungen von einer enormenReichthumsvermehrung der Nation vielfach die Köpfe verwirrt und,in dem Glauben an die Unerschöpflichkeit dieser Quelle, die Börse
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