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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Sie kann in der Verbilduug so gefallsüchtig werden, wie das ältesteFräulein. Gesuchte Ärzte haben oft die Gesnllsucht der Derbheitbei ihnen Grobheit genannt. Wenn sie aber echt ist, hat sie dasBefreiende eines Gewitters nach der Schwüle.

So war unter allen Malern dieser überfeinerten Zeit in LebenundSchaffen am gesündesten Moritz von Schwind nud eiu paarSüd-deutsche uebeu ihm. Karl Spitzweg , der bis iu sein achtundzwanzigstesJahr Apotheker war und nie recht aus dem Duft von Lavendel undLakritzen herauskam, war so eiu echter Humorist, einer von denen,die nach innen lachen könueu. Seine Art, alte Spießbürger dar-zustellen, mit dem Vollempsinden, selbst einer zu seiu, in ihnen sichselbst in geistigem und körperlichem Wohlbehagen zu finden, dasist der Ton, aus dem Gotthels und Keller dichteten, das ist dieechte gute Laune, so brummig der Alte in seiner wunderlichen Werkstätteauch herumwirtschaften mochte. Schwind war ihm ähnlich. In dergräflich Schackschen Sammlung sind ein- Paar Sittenbilder vonihm, die sein Wesen gut erläutern. Die Morgenstunde ist mir dasliebste, uicht um der erreichten künstlerischen Wirkung, sondern umder Absicht willen. Schwinds eigenes Töchterchen, das im alt-modisch nüchternen Zimmer erwacht, aber aufgestanden das Fensteröffnet, um deu juugen Tag zu genießen. Wenn Sittenmalereilyrisch sein nnd wenn Lyrik iu Goethes Siuu vom Augenblickgeborene Stimmung geben soll, so ist hier das echteste Sittenbildgetroffen i nichts von Studie, nichts vou Überhebung, vou Schön-macherei: das Leben, der Augenblick, der dem Bater, dem Natur-freund, dem Künstler einen Herzenston weckte! Das Bild wardie sorgfältige Ausführung eines plötzlich durch das Auge demKünstler übermittelten Gedankens. Das Bild war von der Naturbefruchtet, in der Seele empfangen und mit mütterlicher Liebe aus-getrageu worden: echte Stimmung.

Schwiud war vornehmer Leute Sohn, gewöhnt im Kreise derBesten seiner Zeit zu Verkehre». Aber er war keiu Gesellschafts-mann: der Frack, in dem er sich nur zu selten bei feierliche»Gelegenheiten zeigte, war meist von Freunden geborgt. Er gingdurch die sich ihm ausdrängenden Kreise als eine Art stachligerKnurrhahu uud war doch der Liebenswürdigstem und Lustigsten