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Christian Thomasens Von Der Kunst Vernünftig und Tugendhaft zu lieben : Als dem eintzigen Mittel zu einem glückseeligen, galanten und vergnügten Leben zugelangen, Oder: Einleitung Der Sitten-Lehre ; Nebst einer Vorrede, In welcher unter andern der Verfertiger der curiösen Monatlichen Unterredungen freundlich erinnert und gebeten wird, von Sachen, die er nicht verstehet, nicht zu urtheilen, und den Autoren dermahleins in Ruhe zu lassen
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Liebe anderer Menschen überhaupt. 191

bin ich nicht tollkühne,sondern großmüthig. Wennich, um meinen Freunde gutes zu thun, nach Eh-ren trachte, bin ich nicht iLhrgeiyig, und wennich ihm zu Liebe hohe Ehren-Stellen ausschlage,kau man mich keines niederträchtigen Ge-müths beschuldigen. In der Liebe kommenalle Tugenden viel besser zusammen, als nachder gemeinen Rede in der Gerechtigkeit:. Al-zugerecht ist schon unvernünftig; Aber man kandes Guten so wenig als der vernünftigen Liebe zuviel thun. ,

65. Aber ich höre gleichsam vvn ferne einenHeuchler wider diesen unsern Lehr-Satz alsoseuftzen; Du elender Mensch, was gedenkestdu durch die vernünftige Liebe der Mensche»?die gröste Glückseeligkeit zu erlangen; Die blie-be GOttes ist die gröste Glückseeligkeit, undihr muß alle Liebe zu den Menschen aufgeopfertwerden, sie mag noch so vernünftig seyn als siewolle; Und wie wolte demnach die Liebe derMenschen der eintzige Weg zur Glückseeligkeitseyn?

66. Jedoch ist leichte hierauf zu antworten-Wie kömmt es doch, mein Freund, daß du dieLiebe GOltes, den du nicht siehest, so sehr imMunde führest, und doch die Liebe des Men-schen, der deiner Liebe täglich bedarf, gantz ausdeinem Hertzen verbannest. GOtt weiset dichnach dem Trieb natürlicher Vernunft an dieLiebe der Menschen, weil du nach deiner na-