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Drittes Kapitel.
nicht frei von dem, was der Schauspieler das Lampenfieber nennt.Hat man Zeit gehabt, sich vorzubereiten, so arbeitet unwillkürlichbis zur Aussprache das Gehirn daran, das einmal Erfaßte fest-zuhalten, und zu diesem Festhalten gesellt sich unvermeidlich dasAnschießen neuer, angezweigter Gedanken. Es ist ein den Parla-mentariern bekannter widerwärtiger Zustand, lange mit einerfertigen Rede im Leibe herum zu gehen. Ist man z. B. von An-sang an bestimmt, bei eiuer Debatte mitzuwirken, und bringt einender Gang der Verhandlungen dazu, daß man erst am dritten odervierten Tag, oder auch nur in der fünften oder sechsten Stundezum Wort kommt, so gerät man in eine aus Gespanntheit undZerreibung gemischte Geistesverfassung, die auch das KörperlicheGesamtgefühl unangenehm ergreift. Die glücklichsten,' beneidetenRedner sind die, welche bei Verhaudlungeu möglichst früh darankommen. Sie Md nicht immer die wirksamsten. Selbst wenneiner zu Beginn einer Debatte eine recht gnte Rede gehaltenhat, ist der Eindruck in der späteren Entwicklung oft verwischtund durch die Widerlegungen, die ihm der Reihe nach zu teilgeworden, abgeschwächt. Aber immerhin, er ist die Last, die ihmauf Kopf, und ich möchte sagen, auf dem Magen lag, los ge-wordenen»!) fühlt sich erleichtert. Zum Schlimmsten gehört, wennman mit einer großen Rede im Bauche nicht nur lange hinaus-geschoben worden, sondern wenn während der darüber hingehendenVerhandlungen eine Menge von neuen auftauchenden Gesichtspunktenin den vorgefaßten Redeplan mit hineinverwoben werden müssen.Diese Notwendigkeit, in den eigenen Denkzettel immer wiederandre Fäden noch mit einschlagen zu müssen, gehört zu denschwierigsten Ausgaben ^ des Debaters. Mittelmäßige Rednermachen sich meist die Sache leicht, indem sie solche unbequemenZugaben ignorieren und ihr eigenes Gespinnst, unbekümmert umalles andere, abwickeln. Es ist ein ungeheurer Vorteil, deu dieGeschäftsordnung des deutschen Parlaments den Regierungs-vertretern gegeben hat, daß sie jeder Zeit das Wort nehmenkönnen. Dadurch sind sie von der Notwendigkeit befreit, ganzeReihen von Gegenbemerkungen sich aufhäufen zu lassen; sie könnenjeden Redner sofort in Angriff nehmen und ihr Gehirn entlasten.In der Kunst, eine Menge von Punkten zusammenkommen zu