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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
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Journalist und Volksredner.

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und großartigen Akademiesaale des alten kurfürstlichen Schlossesabgehalten. Die Sprecherin der Damen war die schöne Tochtereines demokratischen Hutmachers. Es bedarf wohl nicht erst desGeständnisses, daß die Anwesenheit vieler weiblicher Schönheitendem politischen Thatendrang uud Ehrgeiz einen nicht zu ver-achtenden Reiz verlieh. Zur Festrede, der die ganze holde Schaariu reizenden Sommergewändern, übrigens auch die städtische Be-hörde beiwohnte, war ich ausersehen worden, und ich hatte sehrgern den schönen Auftrag übernommen. Die Rede selbst hatteich ihrem Inhalt nach ganz vergessen, als sie mir fünf-undvierzig Jahre nachher wieder zu Gesicht kam. Aus Anlaßmeines siebenzigsten Geburtstages grub sie ein wohlwollenderLandsmann aus den vergessenen Annalen der bewegten Zeitwieder aus. Ich finde sie so charakteristisch für den Geist unddie Stimmung, die damals unter uns herrschte, daß ich es nichtfür unangebracht halte, sie hier wiederzugeben.

Festrede,

gehalten bei der Ueberreichnng der Tnrnerfahne von Ludwig Bamberger .

Verehrte Frauen und Jungfrauen! Sie überreichen uns eine Fahne,das Sinnbild der Vereinignng nnd der Sündhaftigkeit ini Beharrenfür das Ziel einer solchen Vereinigung. Sie begleiten dieses Geschenkmit Wünschen nnd Ermunterungen, mit Versicherungen der Sympathiefür das, was wir erstreben. Wenn Handlnugeü in dieser Art und indieser Weise aufgefaßt, eine hergebrachte Sitte sind, so fordern mich vorallem einige Worte Ihrer verehrten Sprecherin, so fordert mich anßer-dem die geschichtliche Bedeutnug der gegeuwärtigeu Zeit auf, tieferhineinzugreifen in das Wesen Ihrer Handlung und einen neuen Sinnin der hergebrachten Form zn suchen. Der Augenblick scheidet sich sodurchans vou der vergangenen Periode, der Wendepnnkt dieses Augen-blicks schließt einen so vollständigen Bruch mit der früheren Zeit in sich,daß ich in allem Erscheinenden mehr den Stempel des originelle»Geistes der allernenesten Epoche, als die Spuren der Vergangenheitsnchen zu müssen glaube. Ist es doch überhaupt der Charakter diesergegenwärtigen Epoche, daß ein neuer Geist im alten Gewände hernm-geht; ist es doch die augenfällige Eigentümlichkeit der augenblicklichenGegenwart, angefüllt, durchdrungen zu sei» vou neuen und großenGedanken, die noch von der Hülle des Alten umschlossen sind. SehenSie doch hin, wie die großen Ideen der Freiheit, der Menschlichkeitunendlich mächtiger als je durch die zivilisierte Welt schreiten von einemEnde zum andern, wie sie alle Köpfe, alle Herzen ergreifen und

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