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Drittes Kapitel.
sehen Sie, wie wenig in der Aeußerlichkeit dieselben Ideen noch ent-sprechende Forni und Geltung gewonnen haben! Der Geist der Epocheist ein Jüngling, der so rasch sich aus dem Zustand der Kindheit herausentwickelte, daß er nicht einmal die Zeit fand, das Gewand zn wechseln,daß er noch in der Welt herumläuft, eine hohe Gestalt in verwachsenerTracht. Aber er läßt sich schon ruhig den Spott derer gefallen, welcheihre Ironie gegen diesen Kontrast des inneren Gehaltes und der äußerenErscheinung weudeu, welche den großen Willen, der noch nicht die ent-sprechende Form erlangen konnte, als eine lächerliche Prätention be-trachten. Der große Gedanke — der hohe Jüngling — weiß, daß dasKleid nicht den Mann macht, er wird das passende Gewand zn findenwissen, er wird die Form zerbreche», ans welcher der- Inhalt entwichenist, und wird sich die seinige schaffen.
In der alten Form den neueu Geist zu suchen, dazu fordert mich derAugenblick, dazu fordern mich Ihre eigenen Worte anf. Ich nehme dieFahne, die Sie uns überreichen, nicht bloß als ein Zeichen derSympathie, das Sie, nur von fern her unser großes Ziel ahnend, zumAndenken, zur Ermunterung überreiche», weil es Ihnen wvhlgefällt,daß wir Großem nachstrebe». Ich nehme sie als das Zeichen einesBnndes, eines dauernden, zum lebendige» Verhältnis sich gestaltendenBundes, dessen Inhalt ist: die Beteiligung der Frane» am öffentlichenLeben, an der großen menschlichen Bewegung, an der Erringung derhöchsten Güter; eines Bundes, dessen Resultat sein wird die Umgestaltungdes öffentlichen Lebens aus einem bloß zweckdienlichen uud austrengeudeuzu einem schönen und heitere». Nach beiden Seiten hin, nach demInhalt, wie nach dem Resultat ist dieser Buud Forderung der Gegen-wart, weil Forderung der Vernunft, der Erkenntnis.
Forderung ist vor allen Dinge», daß das öffentliche Leben die Formdes Schönen gewinne, daß es freie Bewegung werde, die a» sich selberWohlgefallen hat- So nnr kann es ein Recht haben, zu existieren, sonur kann es seinem Ziele entgegengedeihen. Alles, was auf deuNameu einer Verbesserung Anspruch macht, sei es auf dem sozialen, seies auf dem politischen, dem wissenschaftlichen, dem gewerblichen Gebiete,es kan» nur einen Zweck haben: den, das Lebe » zu verbessern, d. h.das Lebensglück, den Lebensgenuß. Soll es aber diesem Zwecke wahr-haft treu bleibe», so m»ß es nicht mir in seinem Ziele, sondern mich inseiner Bewegung nach dem Ziele jene Aufgabe erfüllen. Denn, wenndes Lebens Aufgabe das Lebeu selber ist, der Lebensgenuß ist, so gehtan jeden Teil desselben die Forderung, daß er nicht bloß Mittel zueinem anderen Augenblick des Lebeus, sondern in sich selber Zweck sei.Je mehr das Leben in allen seinen einzelneu Teilen, iu allen Atome»des Daseins seiner Bestimmung entspricht, desto vollkommener ist es;es weicht von dieser ab, so oft es einen Schritt macht, der gar keine