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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Entstehung
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Journalist und Volksredner,

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Befriedigung in sich selber, sondern nur im folgenden sindet. Einsolcher Schritt, ein solcher Augenblick ist herabgewürdigt unter seinenBeruf. Auf der anderen Seite aber verlangt die Ökonomie des Lebens,daß der gegenwärtige Moment den künftigen vorbereite oder sicher stelle.Darnm ist es höchste Aufgabe der Kunst zu leben, die überhaupt dieAufgabe des Menschengeschlechts ist, daß eine Form gefunden werde,in welcher jede Bewegung nicht bloß durch das befriedigen darf, wassie erstrebt, also durch das, was ein anderes, ein Späteres ist, sonderndurch das, was sie selber ist.

Die Form aber, welche diese Bedingung erfüllt, ist einzig die Formdes Schönen, weil mir das Schöne in sich selber Zweck ist. Schönheit,Kunst sind nicht der Hauptsache nach Mittel zum Zweck der Geistes-bildung wie zuweilen gesagt worden ist sie sind Zweck, d. h.Genuß in sich selber. Das Gute im Leben kann nur zweierlei Gestaltannehmen, die des Schönen oder die des Zweckmäßigen. Das Zweck-mäßige findet seine Befriedigung iu der Zukunft, das Schöne in derGegenwart. Wenn das Zweckmäßige schön ist, dann ist die höchsteVollendung des Lebens erreicht. Dann nur hat das Leben einen Sinn.Teilen Sie es aber in Zweck und Mittel, teilen Sie es in bloßesStreben, gesondert vom Ziele, dann schaffen Sie jenen unbefriedigendenZustand, der Verzweiflung einbringt, sobald das Ziel nicht erreichtwird; dann schaffen Sie den Menschen, der beim ewigen Streben ewigDurst leidet, der stets, anf der einen Sprosse angekommen, nichts weiß,als daß er die künftige erklimmen mnß, und vergißt, daß er die jetzigeerklimmen wollte, daß er sie als Ziel gesucht; dann schaffen Sie denMenschen, der die Kindheit nur ansieht als den Weg zur Jugend, dieJugend als deu Weg zur Reife, die Reife verwendet zur Sorge fürSAlter und das Alter zur Sorge für das Grab, den Menschen, dessenLeben nichts ist, als der Weg zum Grabe; dann schaffen Sie denMenschen, der, wenn er als Jüngling, wenn er als Mann stirbt, aus-ruft: Verfehltes Streben, verfehltes Leben! Dann schaffen Sie einGeschlecht, von dem mir der zwanzigste Teil lebt, weil mir der zwanzigsteTeil das Ende des möglichen Lebensalters erreicht. Das Leben abersoll Leben sein vom Augenblick an, da es existiert: jeder genieße undkeiner, wenn er stirbt, sage: Ich habe falsch spekuliert!

Dieser Zug ist bereits mächtig geworden in dem Jahrhundert. Vorallem drückt er sich aus iu der Totalität des Lebens, das ein weltlichesgeworden, das nicht mehr die Spekulation aufs Jenseits ist. Mehrund mehr arbeitet sich der Gedanke auch in die einzelnen Bestandteilehinein. Vergleichen Sie die Erziehung von heute mit der von ehemals.Das Kind wird von dem Erwachsenen nicht mehr als bloßer Zweck derZukunft behandelt; die trockene, im starren Zwang dumpfer Schul-stubenqualeu hantierende Magistern soll ersetzt werden durch ein System,