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Drittes Kapitel,
welches die jungen Kräfte in freies, behagliches, ihnen selber an-gemessenes Spiel setzt. Denn das Spiel, die unberechnete, freie Be-wegung, die sich nach der Lnst des Angenblicks erzeugt, ist die Aktiondes Schönen. Wir srenen uns am kindlichen Genusse, an der heiterenAnmuth der uicht berechnenden Lust, und wollen, daß der Unterricht, dieAusbildung des Geistes uud des KörperS so viel, als möglich dieseForm annehme. — Sehen Sie, nm ein anderes aufzugreifen, auf diemoderne Heilkunde. Sie kommt immer mehr ab von dem Regime derKrankenstube und des Arzneiglases z sie schickt die Kranken an die Heil-quellen, welche ansgestattet sind mit allen Genüssen der Natur uud derZivilisation, und läßt sie in der Lnft, im heiteren, geselligen Umganggenesen. Und bis auf die Behandlung des Tieres herab erstreckt sichdie Achtung des selbständigen Lebenszweckes; man schützt auch dasTier dagegen, daß es frivoler Weise der Bequemlichkeit der Menschen inseiner Lebensfreude geopfert werde.
Dieser Zug nun, neben dein Streben, anch Selbstzweck zu sein, mußius öffentliche Leben, wenn es Anspruch auf Existenz, wenn es weiterAussicht auf Erreichung seines Zieles haben soll. Denn es ist nicht nurgerechte Forderung des Augenblicks, seinen Wert in sich zu tragen: esist auch die höchst mögliche Bürgschaft für die Erreichung des vor-gestreckten Zieles, wenn der Weg dahin nicht bloß Mittel, sondern auchSelbstzweck ist. Sehen Sie doch auf die Ökonomie der Natur! Alleihre großen Zwecke sichert sie durch Triebe, deren Befriedigung zugleicheine Lebensfrende ist.
Es soll also — dies ist das Resultat, welches ich aus allem Ge-sagte!, ziehe — es soll das öffentliche Leben, das Ringen der Nationnach Einheit und Freiheit die Form des schönen, harmonischen Lebens,des frei spielenden Triebes annehmen. Zu dem Ende aber mnß dasöffentliche Leben vor allem seine Wurzel einschlagen in den Boden, ansdem wir mit dem ganzen Reste unserer Existenz stehen, es muß dieWeise der gesellschaftlichen Einheit, des Znsammenlebens nud Zusammen-sühlens beider Geschlechter annehmen.
Dann erst, wenn das öffentliche Leben auf diesem Wege znr Gewohn-heit des Daseins, wenn es Interesse aller Teile der menschlichen Gesell-schaft geworden ist, dann wird es seinem großen Zwecke mit Machtentgegenreifeu. Solange es aber nnr Anstrengung uud Arbeit uudGeschäft ist, wird es der Zeit oder der Person nach stets nnr vereinzeltwirken. Woher schöpft die Religion ihre riesige Ansbreitnngs- undWiderstandskraft? Daraus eben, daß sie das ganze menschliche Daseindurchdriugt, daß es keinen Akt deS Lebens giebt, den? sie nicht ihrenTon gebe, den sie nicht in seinem innersten Wesen durchziehe. Insolcher Weise muß das politische und soziale Streben Religion werden.