Briefwechsel mit der Braut.
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wieder seiner Herr zu werden suchte, rückt mir am lebhaftesteneiu Brief wieder vor Augen, den ich im Dezember desselbenJahres 1849 aus London nach Alzey schrieb. Da heißt es:„Überschaue ich Vergangenheit und Gegenwart uud Zukunft, soresümiert sich letztlich alles in Anklagen, die ich gegen michselbst zu richten habe. Und welche Erleichterung kaun es Dirsein, wenn mir dies gelingt? Höchstens, daß Du Dich uud michnoch mehr beklagst, als zuvor. Wenn man sich auf allen Seitenherumgeworfen, sieht man, daß die wenigst schlimme Partie, dieman ergreifen kann, noch die ist, sich zu fassen, und daß sich inWorten auszutoben, um so mehr unrecht ist, als nicht der, welchersich so seiner Heftigkeit entäußert, sondern der, welcher den Briefempfängt, die Kosten dieser Aufregung bestreitet: nicht aus demHammer, sondern aus der Saite springt der Ton."
Diese wenigen Auszüge aus einer langen leid- und freud-vollen, aber doch mehr leid- als freudvollen Herzensgeschichte
solleu, wie oben bemerkt, dazu dienen, das Verständnis fürmeine späteren Entschlüsse zu bereiten.
Bald nachdem ich jenen Brief aus London geschrieben,entschloß ich mich, als Lehrling in ein Bankgeschäft einzutreten,weil mir damit noch der sicherste und kürzeste Weg eröffnetschien, der unerträglichen Lage, die ans mir lastete, ein Ende zumachen. Es ward mir damals furchtbar schwer. Aber Pflicht-gefühl mehr noch als Hoffnung half mir über die ersten pein-vollen Jahre nach jenem Entschluß hinaus. Ich ahnte damalsnicht, daß, was ich als eiuen Verlust im Bildungsgangansah, sich für mein reiferes Urteil als ein Gewinn Herans-stellen sollte.
Als ich den kaufmännischen Beruf antrat, glaubte ich, vonmeiner akademischen Höhe herabzusteigen. Es ist die abschließendeÜberzeugung meiner seitdem gesammelten Erfahrungen, wenn ichsage, daß ich über Welt und Menschen in dieser Lanfbahn mehrgelernt habe, als wenn ich mein ursprüngliches Ideal hätte ver-wirklichen können. Ob dies nur möglich war, weil ich bis dahinfür den gelehrten Beruf mich vorgebildet hatte, mag dahinstehen.
Ich habe manche Geschäftsleute kennen gelernt, die von
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