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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
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Paris .

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Nachdem ich im Dezember von Versailles im Auftrag desKanzlers nach Berlin gefahren war, drängte es mich, meine Franwiederzusehen, und gegen die Weihnachtszeit fuhr ich zum zweiten-mal nach Lausanne , wo ich etwa zwei Wochen blieb.

Es war ein wunderlicher Kontrast, von dem Kriegslager inVersailles und dann dem norddeutschen Reichstag in Berlin andie im winterlichen Schnee prangenden Ufer des Genfer Sees ineine sehr zahlreiche Kolonie französischer Flüchtlinge zu geraten.Ich stieg in der Pension Dnsour ab, wo meine Frau mit dendrei Generationen Zaubert zusammenwohnte.

Das ganze Haus war von französischen Familien, in derMehrzahl Frauen, besetzt. Ich hatte nicht einen Augenblick dieMißempfindung des Völkerkriegs zu kosten. Die Stimmung dermeisten ging dahin, ein möglichst rasches Ende herbeizusehnen undden Kampf 5, outrg.nes mitsamt Gambetta in seiner Hoffnungs-losigkeit zu verwünschen.

Die Intimität mit den Freundinnen blieb ungetrübt. Wirlasen gemeinschaftlich die mehrmals am Tage erscheinenden Berichtevom Kriegsschauplatz. An der großen Tafel, an welcher sich zwei-mal am Tage sämtliche Hausbewohner versammelten, saß ich, vondem man wußte, daß er aus dem Hauptquartier von Versailles kam, ungeniert und nnbelästigt. Man war eben weit weg vomBoulevard, von dem Sitz derjenigen, welche die Berührung mitjedem Deutschen als ein schauerliches Verbrechen untersagten.

Im Januar verabschiedete ich mich, um nach Mainz zu gehenund dort eine Wahlkampagne für die Reichstagskandidatur einzu-leiten. Meine Frau blieb in Lausanne bis zum März. Dienächsten Jahre hielten mich von Paris fern. Im Jahre 1873reiste ich nur auf einen Tag in einer dringenden Angelegenheitdahin; aber im folgenden verbrachte ich eine Reihe von Wochendes Juni uud Juli allda. Das Wiedersehen mit den Freundinnenwar so herzlich wie je; der Verkehr sehr häufig, aber allerdingsdoch mit einiger Heimlichkeit umgeben. Sie durften sich nichtvor jeglichem zu dem feindlichen Manne bekennen. Das mildertesich dann wieder einigermaßen, als ich in den folgenden Jahrennoch öfter nach Paris kam. In der Zeit der Trennung ging dieKorrespondenz lebhaft hin und her bis zum Tode zuerst der

BambcrgerS Erinnerunqe». ZH