Nachwort.
Die politische Entwicklung Deutschlands hat im neunzehnten Jahrhundertein zweifaches Ziel erreicht. In den Einzelstaaten ist der patriarchalische Abso-lutismus, der den Staat vorzugsweise als eine Summe von Interessen desregierenden Hauses betrachtete, durch einen höheren Begriff des Staates unddurch eine stärkere Ausprägung der Rechtsordnung in der Form der konstitu-tionellen Monarchie beseitigt, und ans dem völkerrechtlichen Verein des deutschenBundes ist das Deutsche Reich gebildet worden. Beide Prozesse standen mit-einander im Zusammenhang und wurden begleitet und bedingt durch großeFortschritte auf den Gebieten des wirtschaftlichen wie deS geistigen Lebens undder gesellschaftlichen Ordnung.
Es wohnen heute mehr als doppelt so viele Menscheu auf dem Gebietedes Reichs als um 1800, und sie leben in weit reichlicheren und vielfach ge-hobenen und gebesserten Verhältnissen. Das ist möglich geworden, weil Acker-bau, Handel und Gewerbe nach Beseitigung der Fesseln überlebter Gesellschafts-ordnungen und Wirtschaftsformen und der Hindernisse der Kleinstaaterei eineungeahnte Entwicklung nahmen. Diese Fortschritte und ihre Hemmungen standenin Wechselwirkung mit den geistigen Strömungen der Zeit, deren Kampf nichtweniger lebhaft war als der politische und wirtschaftliche Kampf des Jahr-hunderts. Im Gegensatz zu der Aufklärung und den humanistischen Idealen,welche die Periode von Lessing und Kant bis auf Goethe und Schleiermacher beherrschten, erhob sich eine geistige Richtung, die auf dem Gebiete der Schuleund der Kirche pietistischen Eifer, dogmatischen Zelotismus und die Neigungerzeugte, die Geheimnisse des Denkens und Glaubens durch die gröbsten Sym-bole und Formeln zu erfassen und zu beherrschen. Die Erfolglosigkeit des inden mittleren Dezennien siegesgewiß vorschreitenden Materialismus führte dieserNeuromantik die Masse der Enttäuschten zu, und da ihr auch die politischeuVerhältnisse zu Hilfe kamen, so hörte sie auf, nur Unterströmung zu sein, son-dern gewann großen Einfluß, besonders auf die Mächtigen der Erde, und ge-bärdet sich seitdem, als habe sie die Herrschaft auch im Reiche des deutschenGeistes. Wer an die Macht der Wahrheit glaubt und eine Vorstellung davongewonnen hat, wie das Leben unseres Volkes die geistige Freiheit nicht ent-behren kann und sie nach jeder Unterdrückung wieder erzeugt, der wird überden Ausgang des Kampfes nicht zweifelhaft sein; aber noch geht er fort, unddas erschwert es, manche bedeutende Vorgänge und Persönlichkeiten ganz zuverstehen. Das wird man namentlich bei den Versuchen, Männer wie Vilmar,Tholuck, Ketteler oder Minister wie Eichhorn zu charakterisieren, nicht vergessendürfen.