Druckschrift 
Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
Entstehung
Seite
3
Einzelbild herunterladen
 

Goethe und Schadow.

liege eben im Vaterländischen: Gerade die Statuen der Altenhätten ihre bestimmte Physiognomie, ihre Verhältnisse, ihre Merk-male. Aber die Köpfe, Hände, Füße des Pietro da Cortona undseiner Schule, also der Barockmeister, wie jene des BerlinerRode und des Leipziger Oeser müssen wie die Gesichter unsererSchauspieler zu jeder Rolle herhalten. Besäßen wir nur die Ge-schicklichkeit Vaterländisches, Eigenes darzustellen, wie unsere Alt-väter, so würden wir eine Schule haben, der fremde Völker ihreSammlungen öffneten. Die Geschicklichkeit die Art und Weisesremder Meister nachzuahmen, hätte uns diese nicht erschlossen.Das sehe man au Dietrich, den: größten aller Affen, der zwarant, aber doch nicht recht gut zu schaffen gewußt habe. Homeridezu sein, auch nur als letzter, ist schön, habe Goethe gesagt:Homeride sein wollen, sagt Schadow, wenn man Goethe ist! hätteich doch die Macht, diese nnverzeihliche Bescheidenheit zu ver-bieten!

Die beiden Aufsätze erweckten vor hundert Jahren Aufsehen:Sie könnten heute geschrieben werden. Nur wäre das, was Goetheals der Vertreter einer kommenden Kunst sagte, heute den Ver-tretern der älteren Richtung zugesallen. Und Schadow, der damalsfreilich auch erst 38 Jahre alt war, vertrat die Alteu, die Ab-sterbenden, eine endende Kunst. Man hat ihn lange ZeitIast ganzüber Thorwaldsen und Rauch vergessen.

Die beiden Gegner haben den Kampf des Jahrhunderts ge-kennzeichnet, wenn gleich das später so oft verwendete Wort Idea-lismus in den beiden Aufsätzen nicht vorkommt. Sein Gegenspiel,der Naturalismus, erscheint dafür. Und es ist durchaus bezeich-nend, daß sich Goethe und Schadow nicht verstanden, als sie dasWort verwendeten, daß jeder etwas anderes darunter verstand.Denn Goethe meinte doch sicher nnter Naturalismus, wie er selbstsagt, eine Kunst, welche die Wirklichkeit nnd Nützlichkeit zu ihrerForderung jmache, uicht die von einem ungeschulten Künstler her-vorgebrachte, von einem solchen, der nur aus seiner Natur heraus-schaffe. Dies Mißverstehen ist eiu zweites Merkmal unseres Jahr-hunderts, trotz seiner philosophischen Schulung. Wer heute überIdealismus, Realismus, Naturalismus spricht, thut immer noch