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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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Der Vmenniirderstil,

Körpers besser studieren müßte, als der Maler beieinfachem" Licht;vor allem aber, daß er sich die Figuren selbst modellieren könne,um seine Gewänder darüber zu legen, und somit die Hilfsmittelselbst zu erlernen,die nötig sind, nm etwas Gutes hervorzubringen".Das werde er namentlich einsehen, wenn ihn sein Geschick nach Rom sühre. Also Goethe billigte diese Art, er wünschte sie von jeden:Maler geübt, auch ihm bot sie dasGute". Es ist kein Wunder,daß er bei solchen Ansichten über den Bildungsgang des Künstlerswirkliche Kunst nicht zu würdigen verstand.

Ans Reynolds folgte die Blüte deS englischen Schaffens. Dortkonnten zu Goethes Zeit ein Morland, ein Turner zur höchstenAnerkennung kommen, zwei Künstler, die so wenig denkende inGoethes Sinn waren, wie etwa Bronwer oder Hals es gewesensind: Männer mit schaffenden Sinnen. Die trotz aller ihrerschwäche echt künstlerische Ästhetik des Londoner Akademiepräsidentenhatte die Nation aufs Verstehen hingelenkt; diese selbst begannplötzlich und mit wunderbarer Krast in Kunstwerken zu reden.

In Deutschland waren ans Oeser und Mengs Winckelmannund Lessing gefolgt, und anf sie die Erkenntnis bei den Gebildeten,daß man über die Kunst gelesen haben müsse, um ihre Werke zuverstehen. Das war kein nener Gedanke gewesen. In Frankreich hatte er das 18. Jahrhundert beherrscht, bei uns blieb er im 19.mächtig. Wir bekamen eine philosophische Kunst, die aber eineKunst nur soweit blieb, als sie der Philosophie sich zu erwehrenvermochte.

Und noch heute kämpft die Kunst bei uns gegen das Wissender allzu gelehrten Lente. Das Rokoko ist vorbei, der Zopf wurdeabgeschnitten, das bezeichnende Kleidungsstück der um ihren Halsbesorgten Folgezeit sind die hohen Binden und Vatermörder. EinVatermörderstil hob an. Ein Stil des Halberwürgtseins uud derBeengung, ebenso wie ein Stil, der mit allem, was vor ihm war,in Unfrieden lebte, es umzubringen strebte. Man bildete sich eiu,Neues zu schaffen, und merkte nicht, wie tief man im Alten watete.

Gurlitt, I». Jahrh.

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