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Sie Baumschlag machen wollen, so nehmen Sie einen StreifenPapier , brechen ihn zusammen, biegen die Spitzen herum und setzendiese Figur mit drei, vier, fünf und sechs Spitzen in Gruppennebeneinander — das giebt Baumschlag! Dito macht man Gras!Bon der Not einer manierierten Zeit hat die jetzige junge Kunst-welt keinen Begriff. Aber Dahl, der gab keinen spanischen Reiteroder Baumschlag für des lieben Gottes schönes grünes Laubwerk!Dahl war eben einer mehr von jenen, welche zeigen, wie der Realis-mus ans dem an Kunst und daher auch an Verkünstelung ärmerenNorden nach Deutschland kam. Die Dresdener Landschaft jener Zeiterscheint fast als ein Vorposten nordischen Einflusses.
Die führenden Geister in Dresden bewegten andere Fragenals Friedrichs schlichte Kunst. Wollte diese Boden fassen, so mußtesie sich eine von ästhetischer Bildung freiere Stätte suchen. Siefand sie in Hamburg, der Stadt, die in ihrer Handelsblüte Eng-land am verwandtesten, man möchte sagen auch geographisch amnächsten lag.
Wir werden von Runge, dem künstlerischen, und von Ruinohr,dem ästhetischen Mittelsmann zwischen Dresden und Hamburg nochzu sprechen haben. Beide hatten dort nicht eigentlich ihren Halt.Mit Teilnahme folgte man an der Unterelbe der Entwickelung Nunges,aber kein Künstler schloß sich dieser an. Sncht man nach dem litte-rarischen Ausdruck des dort herrschenden Geisteslebens, so wird manihn am besten bei Friedrich Christoph Perthes finden, dessen 1796errichtete Buchhandlung der Mittelpunkt eines Kreises von jnngenLeuten wurde. Das schlichte Streben nach empfundener Naturwahr-heit zeichnete sie alle aus. Hamburg bietet eine Probe dafür, welchenWeg die deutsche Kunst ohne die Beeinflussung der Gelehrten undder Akademien genommen hätte, ohne die dort fehlende gelehrte Kritik,ohne die Herrschaft einer abstrakten Ästhetik. Die Kanfmannstadtwar kein rechter Boden für das Ideale. Sie Pflegte die Kunst,welche der sachliche Sinn ihrer Bürger verstand. Wenn zu Endedes vorigen Jahrhunderts Christoffer Suhr den Hamburger Ausruf herausgab, indem er die Straßengestalten so scharf als erkonnte in der Zeichnung festhielt, so folgte er noch dem Vorbilde desAnnibale Carracci , der seinerseits mit seinen Radierungen nach Bolog-
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