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Die deutsche Kunst des 19. Jahrhunderts : ihre Ziele und Thaten / von Cornelius Gurlitt
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VI. Die historische Schule.

Wenn alle Ästhetiker sich über den Perfall des Geistigen, über denheraufwachsenden Materialismus entsetzten.

Was die deutsche Malerei selbst bei den von Schelling undHegel gebildeten Kunstfreunden zn Fall brachte, war der Umstand,daß sie sich zu weit von der Naturwahrheit entfernte, und daßschließlich doch unwillkürlich nicht die Idee, sondern die Natur zumMaßstab des Gefallens und das Gefallen als Erkeuutuisart fürdas Schöue betrachtet wurde. Man bewies sich gegenseitig ästhetisch,daß Cornelius' Bilder schön seien: aber man konnte sich nicht gegen-seitig weis machen, daß sie selbst den wissenschaftlichen Überzeugtensiuulich gefieleu. Mit den Bildern wurde auch die Ästhetik gestürzt,nicht iudem durch Widerlegung ihrer Vordersätze und Schlüsse ihrdas Ende bereitet wurde; sondern sie fiel deshalb, weil ihr die all-gemeine Erkenntnis, ihre Ergebnisse stimmen mit den Thatsachennicht überein, den Gruud abgrub. So sehr sie bewies, daß dasbloße Gefallen eine untergeordnete ästhetische Urteilsform sei; sosehr sie gegeu Jenen loswetterte, der sich von diesem Jrrführer inseinen Kunstneignngen leiten ließe; so sehr sie ein Volk beklagten,das die Wahrheit besitze, ihr aber uicht diene überall bröckeltevon der Schar der Ästhetikgläubigen ein Häuflein nach dem andernab, bis die verlassenen Stockgelehrten dem allgemeinen Gelächter derKünstler und endlich der ganzen Nation verfielen. Der eineTeil dieser bewies aber ruhig sort, unbekümmert um die weitergreifende Ansicht, daß sie eine Wissenschaft vom Werte der Astrologieoder Chiromantik treiben. Der andere richtete seine Logik nach denErgebnissen ein, dnrch allerhand Kleinkünste die wissenschastlicheMogelei versteckend.

Während die deutsche Ästhetik von den Ausländern wenig be-achtet wurde erst 1840 begann Victor Cousin in Frankreich fürsie zu wirken, ohne ans die Künstler einen nennenswerten Einflußzu gewiunen hatten die deutschen Maler im Ausland Anerkennunggefunden. Man berief Cornelius nach London , seitdem dort derPrinzgemahl, der Koburger Wettiner Albert, seine liebenswürdigePersönlichkeit auf die Wage zn stellen nnd nach dem Porbilde der KönigeLudwig I. und Friedrich Wilhelm IV. die Kunst im Sinne derVolkserhebung mit geschickter Hand zu Pflegen begann. Der Prinz