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Aus dem Leben eines deutschen Bibliothekars : Erinnerungen und biographische Aufsätze / von Otto Hartwig. [Hrsg.: Erich Liesegang]
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2. Marburg vor einem halben Jahrhundert.

(Bruchstück aus einer Selbstbiographie.)

Am Nachmittage des 2. Mai 1850 kam ich iu Mar­burg au, nachdem tags zuvor die Strecke der Main-Weser- bahn von Kassel nach Marburg dem Verkehre übergeben worden war. Von hier nach dem Süden wurde die Bahn erst spater eröffnet. Die damals ankommenden Passagiere, die weiter wollten, mußten sehen, wie sie in allen mögli­chen und unmöglichen Vehikeln fortkamen. So sah ich um Pfingsten herum den berühmten General I. von Radowitz mit dem sogenannten Siebenmonatskindc oder Bahnhofsriesen, der als Portier fungierte, eifrig parlamcntiercn, um einen Wagen zu bekommen, der ihn wegen eines Trauerfalls iu der Familie rasch nach Frankfurt beziehungsweise Friedberg bringen solle. Das Haupthindernis der Bahnvollcndung lag nämlich zwischen Gießen und Butzbach , wo man an einer Stelle in Treibsand geraten war. Auf mich machte es damals einen fast komischen Eindruck, daß der steife Diplomat den Riesen mitMein Kind", anredete, um dessen Schritte zu be­schleunigen.

Der Bahnhof von Marburg lag iu jener Zeit noch mitten im Felde, einige Hundert Schritte von der hohen und schmalen Lahnbrücke, die in einem Bogen die Lahn übersetzte. Über sie war bisher der ganze Straßenverkehr gegangen, der sich auf der großen Route von Kassel nach Frankfurt bewegte. Da bei Hochwasser die Brücke den ganzen Wasserschwall nicht dnrchlassen konnte, so hatte man von ihr nach dein Stadt-