Print 
Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Place and Date of Creation
Page
44
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 
  

Drittes Kapitel.

immer mehr gegeben durch diejenigen Erscheinungen in der innerenpreußischen Politik, welche dieselbe von jeher zum Gegenteil einerStaatsweisheit gestempelt hatte, die geeignet wäre, sogenanntemoralische Eroberungen zu machen. Darin liegt eines der Geheim-nisse, welche die deutsche Entwickklug gehemmt und in ihrer Klein-geisterei bestärkt haben. Zuletzt kam noch ein Unglück hinzu wieder Tod Kaiser Friedrichs.

Je weniger Preußen um den in seinen höchsten Regionenherrschenden Geist beneidet wird, desto wohler suhlen sich geradedie liberaleren Bestandteile der Einzelstaaten am eignen kleinenHerd, und dies Wohlgefühl wirkt wieder auf ihre Regierungenzurück, die ja ihre Rechnung bei jener Antipathie finden. Sohat sich schließlich gerade seit der Begründung des DeutschenReichs die Kleinstaaterei uud der Partikularismus immer mehrbefestigt. Man kann fagen, der Kampf gegen dieselben ist imHerzen aller Parteien aufgegeben, uud Deutschland hat sich ein-gerichtet, seine Zukuuft in unabsehbarer Zeit darans weiter znbauen.

In dieser Welt, in der alles nur relativ gut oder schlechtist, muß auch ein Andersdenkender sich das gefallen lassenund sich damit bescheiden, daß jeder Nation erlaubt sein muß,nach ihrer Fayon selig zu werden. Auch die nationalliberalePartei, welche ursprünglich am meisten den Beruf fühlte, nachentgegengesetzter Richtung zu steuern, hat längst das Ruder ein-gezogen. Die Radikalen der Richter'schen Schattierung wie diesüddeutsche Demokratie haben von jeher aus Instinkt wie ausUeberleguug das Unitarische bekämpft, wenn auch aus verschiedenenMotiven.

ZurKennzeichnuug des politischeu Seeleuzustaudes des heutigenDeutschlands gehört, daß unter der Guust dieser Gesamtstimmunganch das patriarchalische Verhältnis zwischen Landesvaterschaftund Unterthanen nicht nur auf das Maß der alten, glaubens-frommen Zeit zurückgekehrt, sondern noch darüber hinaus gewachsenist- Ich glaube, nicht zu irren, wenn ich meine, daß die lyrischenUnterthänigkeits- uud Anhänglichkeitsgefühle bis in die kleinstenZwergstaaten hinein wärmer angeweht sind als zu irgend einerZeit. Niemals war z. B. das bayrische Nationalbewußtsein so