Journalist und Volksredner.
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eine größere Sorgfalt auf meine populären Reden verwandte, alsehemals, hatte ich eine Zeitlang die Neigung, die scherzhaftenPointen, namentlich in Volksversammlungen auf dem Lande, zuhäufen. Der gescheiteste unter meinen Anhängern, der in jenenJahren mit unübertroffener Virtuosität die Bewegung in meinemWahlkreise leitete, erwies mir damals den Dienst, mich vor dieserNeigung zu warnen. Jedesmal, ehe ich auf die Rednerbühneging, raunte er mir in die Ohren: „Nur nicht zu viel Witze!"Ich ließ mir's gesagt seiu uud befand mich wohl dabei. Fürpopuläre politische Reden, namentlich für Wahlreden, gilt meinerErfahrung nach als Hauptregel, und das möchte ich als Rezeptden Lernbegierigen empfehlen: nnr nicht zu sehr ins Detail derDinge eindringen. Wer breite, genaue Sachlichkeit in Volksver-sammlungen auseinanderrollt, wird schwerlich Glück machen. Hiergilt es zu elektrisieren, und man elektrisiert nur mit allgemeinenGedanken, die auch an das Gefühl appellieren. Ein französischerRepublikaner sagte eiumal zu mir: „In meinen Kandidatenredenwüte ich, wenn ich vor Bauern stehe, noch immer gegen denZehnten, welchen vor hundert Jahren der Adel und die Kirche er-hoben, uud warne vor deren Wiederkehr. Das wirkt noch immer."Grade was in Wahlversammlungen zündet, erkältet in denparlamentarischen. Wenigstens in Deutschland , wo das vor-herrschende norddeutsche Element kritisch kalt ist. Unvergeßlichist mir der peinliche Eindruck, den einer der bravsten und be-gabtesten süddeutschen Demokraten, ein alter Achtundvierziger, beiseiner ersten Rede im Reichstage machte, als er Robert BlumsMahnruf an „Das brechende Auge der sterbenden Freiheit" ausdem Grabe der Paulskirche heraufbeschwor. Manchmal allerdingsverstieg sich auch ein echter Pommer, Kleist-Retzow, auf dieoberen Sprossen der pathetischen Leiter hinauf; aber das natür-liche Fener des jugendlich ungestümen Greises erzwäng sich eineArt physiologischer Bewunderung, nicht zu vergessen, daß er einJunker war und somit gerade die Koterie der kühlsten Spötterauf seiner Seite uud darum zu andächtigen Hörern hatte.
Wer sachlich interessantes, möglichst neues Material einfachvorträgt, ist sicher, das Ohr des Hauses zu habeu, besonderswenn man ihm anmerkt, daß er aus dem Leben, selbst gesammeltes