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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Entstehung
Seite
64
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Drittes Kapitel.

Wissen schöpft, nicht erst eben entliehenes anbringt. Ich habees mehrmals mit Genuß erlebt, wie die ganze Versammlung anden Lippen des Sozialdemokraten Schwartz hing, wenn er, ehedemSchissskoch, aus seinen Erfahrungen auf der hohen See Be-lehrendes vortrug; überhaupt eine prächtige Figur, mit seinembreiten Schädel, breitem Brustkasten und breitem Fritz Reuter-schen Dialekt, die zu dem Eindruck zusammenwirkten, daß er selbstalles glaubte, was er sagte, eine Hanptbedingnng, um Andachtzu erzielen. Aber wer solche treffliche Mitteilungen machen will,der hüte sich vor allem, viel abzulesen. Nichts ist tödlicher alsdas. Nach mehr als ein paar Zeilen fällt das Auditorium ab.Es ist sehr merkwürdig, wie ein an den lebendigen, mehr oderweniger improvisierten Vortrag gewöhntes Auditorium der Zu-mutung, sich etwas vorlesen zu lassen, widerstrebt. Selbst wennman überraschende Zahlen vorzutragen hat, solche z. B., die einevorher von einem Gegner aufgestellte Behauptung in schlagenderWeise Äbsui-clum führen, mnß man so sparsam wie möglichmit dem Lesen umgehen, wenn irgend thnnlich sich die Ziffernins Gedächtniß prägen, um sie frei vorzutragen, oder das Ganzein Portionen verteilen, die von lebendigen Redeteilen unterbrochenwerden. Andererseits jedoch wirkt wieder einMrzes Zitat, wo essich um Konstatiernng eines Wortlauts handelt, gelesen sogarbesser als gesprochen. Das Blatt oder das Buch in der Handdes Redners giebt dem Vorgang die Gestalt einer authentischenBeglaubigung. Ein solches Vorlesen einer kurzen prägnantenRede kann den Gegner kräftiger vernichten als ein noch so genauesfreies Vortragen.

Einer der schlechtesten Dienste, die sich ein Redner leistenkann, besteht darin, daß er znr Unterstützung des Gesagten irgendwelche sinnlichen Gegenstände, Bilder, Muster, Instrumente unddergl. aufden Tisch des Hauses" niederlegt. Das Begaffenund Begucken hat nun einmal einen solchen Reiz für die Menschen,daß er sie sofort heranzieht. Und wären es auch nur einigeRöllchen Garn oder Düten Mehl: so wie sie erscheinen, sammelnsich Grnppen um den Tisch, hören nicht zu, und schieben sichzwischen den Redner und den Rest seines Publikums. Das Be-schauen ist soviel verführerischer als das Verstehen; das ist das