10g Drittes Kapitel.
Am folgenden Tag (25. Jnni) hatte ich über die wichtigeSitzung zu berichten, in welcher Gagern das ausschlaggebendeWort sprach. Fünftägige Debatten waren vorausgegangen. Inden einleitenden Worten meines Tagesberichtes klagte ich, daßvon drei Dutzend Rednern auch nicht Einer versucht hätte, sicheine konkrete Vorstellung von der zn schaffenden Zentralgewaltoder wenigstens von ihrer nächsten Wirksamkeit zu macheu, dieZentralgewalt schwebe über diesen Debatten wie der Geist Gottesüber den Wassern, nebelhaft und gestaltlos. In der RedeGagerns, fand ich, liege die Entscheidung des Tages, ein „selt-sam bnutes Material für die Beurteilung dieses einflußreichenMannes."
Gagern, welcher damals noch Präsident der Versammlungwar, hatte seinen Sitz dem Vizepräsidenten Soiron abgegeben.Er sprach von der Tribüne herab (wie in der Paulskirche aus-nahmslos geschah) unter feierlicher Stille mit ernster, fast trübegedämpfter Stimme. Seine erste Widerlegung galt dem Effekt,den Robert Blum mit seinen berühmten Worten hervorgebrachthatte: „Wollen Sie das Himmelsauge der kaum erwachtenFreiheit brechen sehen, wollen Sie die alte Finsternis herauf-beschwören — so schaffen Sie Ihre Diktatur!" Der Eindruck,den diese Worte auf die Versammlung machten, war, bezeichnendfür den Geist der Epoche, überwältigend. Ich erinnere michdessen noch deutlich, und ich finde es in meinem Bericht über dieSitzung vom 20. Juni auch so bestätigt. Es heißt da:
„Blums Worte, gespiochen in dem ihm eignen, kaltblütig gemessenen,aber gewichtigen Tone, der nur dazu bestimmt scheint, an den Verstandzn appellieren, gleichwohl aber die Nerven spannt nnd erschüttert,machten einen gewaltigen Eindruck auf alle Anwesenden. Mit jederMinute stieg die Stille und Aufmerksamkeit der Zuhörer, und als ermit feierlichem — nicht mit weinerlichem — Ernste die Schlußgedankenseiner Rede vortrug, hörte und sah ich nm mich her viele in Thränen."
Ich will von den nicht zur Diskussion gestellten Anträgen,denen nämlich die nötige Unterstützung fehlte, uur einen erwähnen,weil er ein Jahr fpäter den Stoff zu einem drolligen Vorfallbot. Der brave Tiroler Mareck hatte nichts weniger formuliertals folgendes:
„1) Die Nationalversammlung fordert alle deutschen Fürsten auf, für