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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
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Drittes Kapitel.

tolerant bis zu dem Grade, daß der Begriff der Toleranz ganz ver-schwinden muß, weil sein Gegensatz, die Intoleranz, gar nicht mehrgedacht werden kann. Mit diesem Gesetze müssen wir auch unsere Be-wegung durchdringen, und der Eintritt des weiblichen Geschlechts wirdein Wesentliches dazn beitragen, daß es geschehe.

Aber, wird man nus sagen, du opferst dabei die Frau mit der ganzenEigentümlichkeit ihres Naturells, du benutzest sie nur zum Vorteile einesbestimmten Zieles, das ihr keine Entschädigung geben kann, weil dasOpfer selber sie zu Grunde richtet, du reißest sie heraus aus dem ihrzugewiesenen Kreise des ihr eigentümlichen, stillen nnd nmschränktenGefühlslebens. Wenn ich das wollte, dann würde ich allerdings inden Fehler verfallen, den ich selber von vornherein als das Grundübelverdammt habe, den nämlich, ein selbständiges Leben seines selbständigenZweckes zu berauben und zum bloßen Mittel herabzuwürdigen. Aberich drehe den Einwurf geradezu herum und kehre ihn gegen diejenigen,welche ihn erheben. Die Anschauungsweise, welche der Frau das ein-seitige Gefühlsleben zuteilt, ist selber nichts, als der Versuch, sie alsWerkzeug der Befriedigung eines Kunstbedürfnisses zn behandeln, in ihrdie vollendete Darstellung des Gefühls anzuschauen. Sehen Sie dasLeben des Mannes an, der in dieser Art den Frauen hnldigt. Er be-trachtet sie als ein Stück wandelnder Lyrik. Eine Frau, die in ihrerErscheinung den Reflex eines zerstörten Seelen- oder Körperlebens zeigt,eine innerlich zerrissene, eine kränkelnde Frau nennt er eininteressantesWeib." Aber es kann nicht Bestimmung des Menschen sein, einemandern als bloßes Objekt, sei es auch als künstlerisches, zu dienen.Der enge Kreis, welchen jene Anschauungsweise den Frauen zuteilt, istdas Gebiet, welches ihr nicht von ihrem eigenen Wesen, sondern voneinem Herrscher angewiesen ist, gerade so gut wie das enge Gebietdes orientalischen Serails. Die Beschränkung der Weiber auf dasGefühlsleben ist nichts als eine parfümierte Sklaverei, als eine christlich-germanische Serailstheorie. Daß einzelne Charaktere sich in dieser Be-schränktheit wohl fühlen, beweist ebenso wenig, als wenn eine türkischeSklavin in ihren Prachtgemächern zufrieden ist. In der Einseitigkeitkann keine Vollendung bestehen, sondern nur in der Harmonie. Es istanch zum Überfluß nicht wahr, daß das Gefühlsleben durch die Klarheit,durch das durchdachte Selbstbewußtsein, welche in dem politischen Lebengefordert werden, beeinträchtigt werde. Das Wesen des Menschen ist:sich seiner bewußt zu sein; je mehr er dies erfüllt, desto vollkommenerist er; Sache der Kultur ist es, nicht das Gefühl zu verleugnen, sonderndas Recht des Gefühls zu erkennen und das Gefühl selber bewußter Weisein sich aufzunehmen. Lassen Sie es mich, als Mann, Ihnen verraten, daßdas Gefühlsleben an Stärke und Innigkeit nur gewinnt, wenn man sichnicht hineinverliert, sondern klar bewußter Weise sich darin bewegt.