Journalist und Volksredner.
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Ich hatte Berlin nie gesehen, überhaupt vom nördlichenDeutschland uichts als Göttingen und seine Umgebung. Der Ein-druck war nichts weniger als imposant.
Berlin sah leer und öde ans. Alles, was der Residenzihren Charakter gab, war verscheucht, und der Druck nahenderKatastrophen lastete bereits ans dem Geist der Stadt.
Der Kampf in Wien hatte begonnen. Von seinem Ansganghing auch das Schicksal der deutscheu Freiheitsbewegung ab.Eine Deputation aus der Frankfurter Versammlung war freiwillignach Wien gegangen, darunter die mir befreundeten Blum, Fröbel,Moritz Hartmann. Fröbel konnte daher dem Kongreß in Berlin nicht wie dem in Frankfurt präsidiereu. Das war von vornhereinein Mißstand, denn seine imponierende Persönlichkeit, verbundenmit seinem sehr radikalen Standpunkt, war noch am ersten geeignet,die mit wilden Elementen stark durchsetzte Versammlung zubeherrschen.
Der Kongreß hielt seine erste Sitznug am 26. Oktober im„Englischen Hofe" und zählte etwa zweihundert Mitglieder. Anmarkanten Persönlichkeiten enthielt er meiner Erinnerung nachnicht sonderlich viel. Arnold Rüge kannte ich schon von Frankfurt ,Karl Grün noch länger von Mainz her. Eine interessante, idealischaussehende Figur war der Westfale Kriege, der die Sitzungeröffnete. Er war ein Flüchtling der dreißiger Jahre und ausdem Westen von Nordamerika , wo er sich angesiedelt hatte, nachDentfchland zurückgekehrt. Auch Gottfried Kinkel war unter denAnwesenden. Hier sah ich auch zum ersten- und letztenmal den seit-dem, am meisten durch Heinrich Heine , berühmt gewordenen SchneiderWeitling, der mit seinen radikal-kommunistischen Anträgen in derdoch schon sehr weit links stehenden Versammlung nur einen Heiter-keitserfolg erzielte, namentlich als er den Grundsatz aufstellte, daßvon Rechts wegen jeder Mensch eine Monatsbesoldung erhaltenmüsse. Zum Vorsitzenden wurde Georg Fein ernannt; er war,in den dreißiger Jahren, wegen Demagogie verfolgt, nach Amerika geflüchtet und nun von da zurückgekehrt. Seinen ziemlich extremenAnsichten entsprach das persönliche Auftreten gar nicht. Ein zartes,kleines Männchen mit beinah zierlichen Manieren, fand er sichbald von den Wogen der stürmischen Debatten überflutet. Er