136 Drittes Kapitel.
legte das Präsidium nieder. Die Wahl zum Ersatz fiel auf mich.Wieso ich bei meiner Jugend und bei meinem nichts weniger alsimposanten Äußern dazu kam, wüßte ich hente nicht mehr zusagen. Ob ich es damals wußte, möchte ich auch nicht behaupten.Eine Zeitlang vermochte ich jedenfalls die Verhandlungen ineinigermaßen rnhigen Geleisen zu halten. Aber am zweiten Tagewurden sie immer stürmischer. Als ein Mitglied sich gegen irgendeine Abschweifung von der Tagesordnung auf die Geschäftsordnungberief, wurde ihm der seitdem berühmt gewordene Ansspruch ent-gegengeschlendert: „Der Bürger Ottensoser will ein Volksmannsein und spricht von Geschäftsordnung!" Ottensoser war ein an-gehender Kaufmann, aus dessen pathetischem Vortrag die Legendejener Tage einen andren Satz meldete: „Machen wir es, wie diealten Griechen, welche ihre Schiffe verbrannten, um frei hinausins offene Meer zn steuern!" — Er wnrde übrigens im Laufder Zeiteu eiu sehr gesetzter und geachteter Mann. Mit Beginnder Reaktion wanderte er in die Schweiz, ließ sich in Zürich nieder, studierte Jurisprudenz uud wurde ein sehr tüchtiger uudangesehener Advokat.
Von Zeit zu Zeit stieg der Tumult der Debatten zu sofürchterlichem Lärm, daß nicht mir meine Stimme, sondern auchdie ziemlich gewichtige Präsidentenglocke dem Lärm nicht gewachsenwar. Ich erklärte, daß ich mir ein paar Pistolen ausbitten müßte,um Ruhe gebieten zu können.
Mitten in die Debatten, in welchen der Gegensah zwischenden geradezu sozialistischen und den nur demokratischen Elementenimmer mehr sich zuspitzte, fuhren die Nachrichten von der unver-meidlichen Niederlage des Wiener Aufstandes. Jellachich standvor den Thoren der Kaiserstadt, die ungarische Hilfe hatte versagt,die Einnahme der Stadt war nur um Stunden oder Tage aufzu-halten. Da erschienen in unsrer Versammlung Delegierte derLinken des Preußischen Abgeordnetenhauses , Rüge und Schramman der Spitze, mit der Aufforderung, daß wir eine große Demon-stration zu Gunsten Wiens machen sollten. Der Vorschlag konnteauf keinen vernünftigen Grund hinweisen. Die preußische Ver-sammlung selbst lag schou in den letzten Zügen, knrz darauf folgtedie gewaltsame Verlegung nach Brandenburg .