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streng und enthaltsam, besonders im Punkte des Essens, er-zogen worden.
Jenen Tagen in Zürich verdanke ich eine Erfahrung, dieich weder vorher noch nachher zu machen Gelegenheit hatte. Ichdenke nämlich noch jetzt mit Neid auf mich selbst daran, daß ichdamals den wahren Hunger kennen lernte. Ich freute mich,wenn Zitz seine Portion Weißbrot des Morgens oder Abendsnicht aufzehrte und mir der Rest zufiel.
In Zürich fing ich auch sofort an, meine Erlebnisse aus derPfälzer Erhebung niederzuschreiben, die rasch vollendet wurden.Nachdem dies geschehen, erwachte natürlich die Lust, das Landweiterhiueiu kennen zu lernen. Julius Fröbel , der es genaukannte und ein gewandter Tourist war, erbot sich, uns zu führen.Noch zwei andere Flüchtlinge schlössen sich uns an. TheodorKaufmann, ein Maler, der den Dresdener Aufstand mitgemachthatte, und das österreichische Mitglied des Frankfurter ParlamentesWiesner. Ich habe Kaufmanns Bilder nie gesehen. Er gefielsich aber so sehr in philosophischen Vorträgen über die großenFresken, in denen er den Kulturgang der Menschheit darzustellenunternommen habe, daß ich über Zweifel an seiner Technik nichthinausgekommen bin. Später heiratete er in Amerika einePfälzerin, Mathilde Hitzfeld , die während des Aufstandes eineschwärmerische Anhängerin unserer Sache gewesen und derEmigration ins Ausland gefolgt war. Freund Kapp, ein Meisterin der Schilderung komischer Szenen aus der Flüchtlingswelt,wußte nachmals lebhaft zu erzählen, wie der knnstbeslissene Ehe-mann unter dem Despotismus seiner republikanischen Gefährtinein zweites Flüchtlingsleben in Newyork antreten mußte und mehrMühe hatte, sich ihrem rächenden Arm als dem der sächsischenNemesis zu entziehen.
Wiesner war der Typus des guten, setten, behaglichenÖsterreichers. Auf unserer Wanderschaft hatte er viel Mühe,gleichen Schrittes mitzukommen, besonders wenn es bergauf ging.Dann blieb er keuchend stehen und rief den Vorausgehenden weh-klagend nach: „So bewuudern's doch a wenig!"
Wir machten die ganze Reise zu Fuß, unsere Habseligkeiten