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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Entstehung
Seite
218
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Fünftes Kapitel.

lernen, und zn diesem Zweck auch die Börse besuchte, kam einwohlmeinender Herr, dem ich vorgestellt worden war, sachte anmich heran und bemerkte mir freundschaftlich, der Schnurrbart(ich trug nur diesen) schicke sich nicht für diesen heiligen Ort. -

Eine Geschichte der Haupt- und Barthaartrachten in Ver-bindung mit der Kulturgeschichte könnte ihren Reiz haben. Aberman müßte sich vor übereilten Konjekturen hüten. Wie nahläge es z. B., aus der Entfesselung von Mord und Krieg undRevolution auf einen Zusammenhang zwischen männlichem Kampsund männlicher Erscheinung zu schließen. Und doch haben dieSoldaten des Konvents Zöpfe getragen, und die kaiserlichenGarden Napoleons mußten noch auf ihren Eilmärschen bis Eylauund Friedland die Zeit finden, sie zu flechten.

In Genf waren von der französischen Emigration nur unter-geordnete Elemente vertreten gewesen. Hier in London befandensich eine Anzahl Häuptlinge, welche der letzte Versuch einesgewaltsamen Vorgehens gegen die Nationalversammlung ansfremde Ufer geworfen hatte. Ich lernte sie kennen, ohne zu ihuenjedoch in nahe Beziehungen zu kommen.

Der sympathischste war Louis Blanc , dessen Schriften,Oi-Zauisation cw ?i-avg,il und Histoirs äs clix aus ich vor Zeitenmit Andacht studiert hatte. Er sah aus wie ein Knäbleinmit rosigen Wangen und glattgescheiteltem Haar, eine zier-lich possierliche Erscheinung, dabei feierlich und ernsthaft, derleibhaftige Gegensatz zu Ledru-Rollin, ein großer stattlicherMann, der höchst bezeichnenderweise, kaum ein paar Wochenim Lande, sofort ein dickes Buch über den Niedergang Englands vom Stapel ließ, 1s, cls 1'^.v^lstsrrs!

In der Gesellschaft dieser beiden befand sich auch meistensMonsienr Canssidiere, von Beruf Weinhändler, nach der Februar-revolution Polizeipräfekt von Paris, eine echt französische Re-nommistenfignr, breit und groß wie ein Tambourmajor, mit einemhohen breitkrämpigen nach dem linken Ohr gravitierendenCylinder. Es gehörte auch zur Charakteristik des Pariser Trios,daß ich es meistens bei einer liebenswürdigen Dame traf, dieeinstens Prima Ballerina gewesen und jetzt ein reizendes Töchter-chen zu derselben Kunst heranbildete.