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Erinnerungen / von Ludwig Bamberger
Entstehung
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Sechstes Kapitel.

Nicht so gut ging es manchem andren Deutschen, u. a, meinemFreund Oppenheim, der, nachdem er eine Zeitlang parlamentierthatte, wirklich nach England abgehen mußte. Für mich ein sehrempfindlicher Verlust. Denn, obwohl er in Brüssel wohnte, undich in Antwerpen , und zum Teil eben deswegen, war jeder Tag,den wir beinah wöchentlich einmal zusammen verbrachten, einLabsal für uns.

In der Regel fuhr ich am Samstagabend nach Brüssel ; erwar dann schon am Bahnhof, wir aßen zusammen, verbrachtenden Abend meistens im Theater, ich schlief in seiner Wohnungauf dem Sosa oder teilte auch sein Bett, und am Sonntagabendfuhr ich wieder heim. Es waren dies jedesmal sür nns großeFesttage.

Einerseits fühlten wir uns in Belgien sehr allein; was nnsinnerlich ausfüllte, war fern; andrerseits genossen wir das ver-feinerte äußere Leben der nach Pariser Vorbild damit ausgerüstetenGroßstadt mit der Frische und dankbaren Empfänglichkeit desNoviziats. Da meine Zuknnftssorgen in den Hintergrund zu tretenanfingen, meine Braut beinah immer in Mainz bei ihrer Muttersich aufhielt, die sich nach meinem Eintritt ins Geschäft ganz mitder Idee unsrer Verbindung ausgesöhnt hatte, so saud ich wenigstensbei günstigen Anlässen etwas von meiner natürlichen Heiterkeitwieder, und da ich in Antwerpen , außer meinem Bruder, sogut wie gar keinen Umgang hatte, waren die Brüsseler Sonntagein der Gesellschaft des Freundes, mit dem mich von der Univer-sität her eine engste Jdeengemeinschaft verband, wahre Oasen.

H. B. Oppenheim war einer von den Menschen, die mit denVorzügen ihrer Individualität nur im engeren Kreise und beinäherer Bekanntschaft zur vollen Geltung kamen. Obwohl er übereine Fülle von Geist und Wissen verfügte, auch ein fleißiger undrascher Arbeiter war, ist er weder als Gelehrter, noch als Publizist,noch als Parlamentarier je stark durchgedrungen. Es fehlten ihmsür die größeren Kreise die verbindenden Organe, was man ehe-mals in Frankreich Iss atoms8 oroollus nannte. Bei der erstenBerührung stieß er meist ab, besonders durch ein unangenehmlautes Organ und einen starken Frankfurter Aceent. Nach demAbend, an dem ich ihn in Genf mit Herzen zusammengebracht